Die Klinge des Löwen 01
Feuchtgebiet, das durch
Hochwasser immer wieder überschwemmt wurde. Dietrich wußte,
daß sie höher gelegenes Gelände erreichen mußten,
um trockenen Boden zu finden, wo sie ihr Nachtlager aufschlagen
konnten.
Der kleine Bernhard,
der bisher im Arm seiner Mutter geschlafen hatte, erwachte. „Es
ist kalt, Mama.“
Dietrich sah, daß
sie ihren Umhang abnehmen wollte, um das Kind darin einzuhüllen.
Rasch kam er ihr zuvor. Er entledigte sich seines Mantels und reichte
ihn Ida. „Nehmt meinen Überwurf, Gräfin. Er wird
Bernhard wärmen, und Euch muß nicht frieren!“
Er fühlte mehr,
als er in der Dunkelheit sah, wie sie dankend den Kopf neigte. „Ihr
seid so selbstlos, Herr Ritter!“
„ Ich tue nur meine Pflicht,
Herrin!“
Titus hob den Kopf
und spitzte die Ohren. Dietrich wurde aufmerksam. Der Rappe stand
jetzt still wie eine Statue. Sein Reiter versuchte vergeblich, im
Dunkel der Nacht etwas zu erkennen. Nicht lange, und das Geräusch
von Pferden war zu hören. Hufschlag klang auf, und bald vernahm
man das leise Knirschen von Sattelzeug.
Dietrich bewegte
seinen Rappen hart an das Bachufer. Angespannt lauschte er und
tastete gleichzeitig nach seinem Schwert, ohne es jedoch aus der
Scheide zu ziehen. Er drehte sich im Sattel um und rief der Gräfin
mit unterdrückter Stimme zu: „Ich glaube, es sind unsere
Leute. Aber wir wollen uns ruhig verhalten, bis wir sicher sind!“
In diesem Augenblick
setzte ein in der Dunkelheit kaum erkennbarer Schatten über den
Bach und sprang winselnd an Titus hoch. Der Rappe warf den Kopf empor
und schnaubte.
Es war Rolands Hund
Greif, der die Wartenden aufgespürt hatte und sie nun derart
überschwenglich begrüßte, als wäre es schon Tage
her, seit er sie das letzte Mal sah. Unmittelbar hinter dem
vierbeinigen Fährtensucher trafen Roland und Giselbert, mit dem
Saumroß am Zügel, bei den Wartenden ein.
„ Werdet ihr verfolgt?“
war das erste, was Dietrich wissen wollte.
Giselbert verhielt
sein Pferd, das nervös hin und her tänzelte. „Ich
glaube nicht. Als wir unsere Stellung am Ufer verließen, war
nichts von dem feindlichen Trupp zu sehen.“
„ So lange wir den Platz
beobachteten, blieb alles ruhig“, bekräftigte Roland und
setzte triumphierend hinzu: „Sie trauten sich kein einziges Mal
aus der Deckung!“
„ Wir blieben, bis es
dämmerte“, fuhr Giselbert gleichmütig fort. „Es
war kein Risiko, in der hereinbrechenden Dunkelheit nach Euch zu
suchen. Wir wußten, daß der Hund Euch auf jeden Fall
finden würde.“
Trotzdem wurde
Dietrich jetzt unruhig. „Wo bleibt denn Erdmann. Habt ihr ihn
nicht getroffen?“
„ Erdmann?“ fragten
Roland und Giselbert wie aus einem Mund.
„ Ich habe ihn euch
entgegengeschickt. Er kann euch unmöglich verfehlt haben, denn
es ist noch nicht lange her, seit er aufbrach.“
Dietrich sah trotz
der Dunkelheit, wie beide den Kopf schüttelten. „Uns ist
niemand begegnet“, sagte Roland.
„ Ich möchte wissen, wo
in drei Teufels Namen sich der Mensch jetzt wieder herumtreibt!“
fluchte Dietrich in grimmigem Ton. Dann schwieg er und behielt für
sich, was er dachte. Erdmann mußte irgend etwas im Schilde
führen, sei es aus Ärger über sein Mißgeschick
am Erlenbach, das mit dem Verlust seines Pferdes endete, oder über
den anschließenden Befehl, zu Fuß weiterzuziehen.
Was immer der Grund
sein mochte - er war verschwunden, und nach Dietrichs Gefühl war
nun besondere Vorsicht geboten. Schließlich wäre es nicht
das erste Mal, daß ein unzufriedener Kriegsknecht die Seiten
wechselte...
Er verdrängte
unwillig diesen Gedanken und mahnte statt dessen zum Aufbruch. Seinen
Verdacht behielt er vorläufig für sich, denn noch war
ungewiß, was Erdmanns Verschwinden bedeuten mochte. Es lag ihm
nicht, Vermutungen vor den anderen auszusprechen, so lange er nichts
beweisen konnte. Falls nämlich der Verschwundene wieder
auftauchte, hätte er sich mit einer voreiligen Kritik an ihm nur
ins Unrecht gesetzt. So etwas untergrub schnell die Disziplin, und
die wollte er als Führer der Gruppe nicht leichtfertig aufs
Spiel setzen.
Greif setzte sich
ungeheißen an die Spitze des Reiterzuges, als wäre es
klar, daß nur er in der Finsternis einen Weg finden würde.
Tatsächlich gelangten sie auf diese Weise nach kurzer Zeit auf
ansteigendes und trockenes Gelände. Als sie schließlich
zwischen den schwarz in den Nachthimmel ragenden Tannen angelangt
waren, die leise im sanften Wind rauschten, hielt Dietrich an.
„
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