Die Klinge des Löwen 01
für das
Menschenauge seine Bahn. Ein dumpfes Wiehern ließ den Wächter
zusammenzucken. Im fahlen Mondlicht sah er, wie Titus mit steil
aufgerichteten Ohren in die Richtung der offenen Aulandschaft
starrte. Auch Greif hatte den Kopf erhoben und witterte.
Giselbert lauschte
mit angehaltenem Atem. Neben Titus waren jetzt auch die übrigen
Pferde aufmerksam geworden. Der Wolfshund hatte sich aufgerichtet und
spitzte die Ohren. Und als er anfing, leise zu knurren, hörte
Giselbert es auch: das helle Gebell suchender Hunde!
Blitzartig wurde ihm
klar, daß es die Geroldsecker Kriegsleute sein mußten.
Sie hatten Hunde geholt und waren nun auf ihrer Spur! Leise eilte er
zu seinem schlafenden Herrn und rüttelte ihn wach.
Dietrich richtete
sich auf. „Was ist los?“
„ Herr, Sie sind mit Hunden
hinter uns her!“
Dietrich lauschte,
dann erhob er sich mit einem Ruck. „Rasch, befreie die Gäule
von ihren Fesseln, aber halte sie zusammen!“
Die anderen waren
inzwischen auch wachgeworden. Der Knappe sprang auf und trat eilig zu
den beiden Männern.
„ Roland, komm, Giselbert
ist dabei, die Fußfesseln der Rosse zu lösen. Hilf ihm,
sie aufzuzäumen und zu satteln!“ befahl Dietrich mit
unterdrückter Stimme. „Bringt sie zu dem Wasserlauf, an
dem du sie getränkt hast!“
„ Was ist denn passiert?“
flüsterte Ida, erschreckt von dem plötzlichen Tumult.
Bertha war bereits aufgestanden.
„ Die Geroldsecker sind
wahrscheinlich in der Nähe", gab Dietrich leise zur
Antwort. "Hier können wir nicht bleiben!“
Geschwind und ohne
weiter zu fragen, erhob Ida sich, während ihre Zofe den
schlaftrunkenen Bernhard aus der Decke schälte. In aller Eile
belud Dietrich mit Hilfe der Frauen das Packpferd. Roland und der
Kriegsknecht hatten sich bereits mit den anderen Tieren entfernt.
Dietrich zog das
Packpferd hinter sich her, tiefer in den Wald hinein, während
Bertha mit dem Kleinen auf dem Arm und ihre Herrin mit gerafften
Gewändern dem Ritter folgten. Das bleiche Mondlicht, das durch
die Tannen sickerte, erleichterte es ihnen, ihren Weg zwischen den
Baumriesen hindurch zu finden
Nach kurzer Zeit
hatten sie die Stelle erreicht, wo Giselbert und der Knappe mit den
Rossen an dem kleinen Waldbach warteten, der leise murmelnd
hangabwärts strebte. Die Pferde schnaubten, und die Nervosität
der Menschen schien sich auf einige von ihnen zu übertragen.
Besonders Giselberts Roß und der Zelter der Gräfin waren
so unruhig, daß der Kriegsknecht all seine Geschicklichkeit und
Kraft aufwenden mußte, um die Tiere unter Kontrolle zu halten.
Roland hatte Greif am Genick gepackt, damit er nicht hin und her
rannte und die Nervosität der Tiere noch vergrößerte.
Dietrich verlor
keine Zeit. Mit leiser Stimme traf er seine Anordnungen: „Wir
werden jetzt zwei getrennte Gruppen bilden, die verschiedene Wege
einschlagen. Ihr, Gräfin bleibt mit Eurem Sohn bei mir. Wir
werden mit Titus inmitten dieses Rinnsals bergauf ziehen, um keine
Fährte zu hinterlassen. Euer Pferd bleibt bei der zweiten
Gruppe. Die reitet von hier aus weg von diesem Wasserlauf, und zwar
in diese Richtung.“
Er zeigte nach
Nordosten, während der Weg, den er zu nehmen gedachte, fast
rechtwinklig davon abwich. „Ihr werdet ja eine recht breite
Spur erzeugen“, fuhr er, zu Giselbert gewandt, hastig fort.
„Und da es die einzige ist, von der ihre Hunde Witterung
aufnehmen können, werden die Feinde euch folgen. Ihr solltet
also zusehen, daß ihr schnell vorwärts kommt! Dazu habt
ihr alle Hände voll zu tun, denn ihr müßt das
Saumpferd und den Zelter der Gräfin mit euch führen.“
Er schwieg einen
Moment und lauschte dem allmählich lauter werdenden Lärm,
den die Spürhunde der Geroldsecker hervorriefen.
„ Sie kommen schnell näher“,
sagte Giselbert mahnend in das Schweigen hinein. „Sagt uns noch
den Ort, wo wir wieder zusammentreffen sollen, Herr.“
Dietrich besann
sich. „Du hast recht, ich will mich kurz fassen! Nachdem ihre
eine Zeitlang zusammengeblieben seid, sollen Roland und Bertha sich
von dir, Giselbert, trennen und auf schnellstem Weg zu uns stoßen,
während du weiter bis zum höchsten Punkt des Bergrücken
steigst und dich von dort dann hinunter ins Künzigtal begibst
und uns entgegenkommst. Wann der Zeitpunkt für die Trennung
gekommen ist, müßt ihr selbst entscheiden.“
„ Ich denke, das wird der
Fall sein, wenn wir von den Verfolgern nichts mehr hören“,
sagte Giselbert bedächtig.
„ Nein, nein, Giselbert,
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