Die Klinge des Löwen 01
so
lange darfst du nicht warten“, widersprach Dietrich gereizt,
denn er wurde jetzt selbst nervös. „Der Schall wird weit
nach oben getragen, und du wirst wohl kaum einen Punkt erreichen, wo
du nichts mehr davon hörst, bevor du zum Tal hinuntersteigst.
Schätze einfach die Strecke, die du zurückzulegen hast bis
zum höchsten Punkt, und laß Roland und Bertha ungefähr
auf der Hälfte davon ihren eigenen Weg nehmen.“
Der winzige Waldbach
plätscherte friedlich an den aufgeregten Menschen vorbei zu
Tale, aus dem herauf drohend das helle Hundegebell tönte. Eilig
beschrieb Dietrich dem Knappen noch den Weg und den Ort, wo er und
die Kammerfrau sich wieder mit ihm und seinen beiden Schützlingen
vereinigen sollte.
„ Wir werden in der Nähe
des Weilers Steinach auf euch warten. Du führst den Zelter mit
dir, Roland. An der Stelle, wo wir uns aufhalten, reicht der Fluß
bis an einen zum Wasser abfallenden Felssturz heran. Du kannst sie
nicht verfehlen.“
Er verstummte und
überlegte fieberhaft, ob er auch nichts vergessen habe.
Unmittelbar um sie herum war nichts zu hören außer dem
leisen Gluckern und Plätschern des Waldbächleins. Aber von
der Talaue her erklangen die Jagdlaute der Hunde...
Dietrich fand, daß
er an alles gedacht und nichts vergessen habe. „Es dürfte
uns gelingen, die Meute der Verfolger in die Irre führen.“
„ Ein guter Plan, Herr",
meinte Giselbert. "Damit gebt Ihr dem Feind eine harte Nuß
zu knacken! Der Wolf fahre den Kerlen an den Hintern!“ Er sah
erschrocken zu Ida hinüber. „Verzeiht, Herrin, daß
ich meine Zunge nicht besser im Zaum habe, aber diese Schurken sollen
nicht über uns triumphieren!“
Ida lächelte
nachsichtig. „Schon gut, Giselbert. Ich hoffe, du hast recht!“
Noch einmal lauschte
Dietrich dem Lärm der Verfolger, die schon bedrohlich nahe zu
sein schienen. Dann trieb er zur Eile.
„ Auf jetzt, Leute“,
sagte er entschlossen. „Jeder auf seinen Weg!“
Er nahm die Zügel
seines Streitrosses und drängte es sanft an den Rand des leise
murmelnden Waldbaches.
„ Das ist eine gefährliche
Sache, die Ihr da vorhabt, Herr“, meinte Giselbert skeptisch.
„Bei Nacht in diesem Bach hangaufwärts zu reiten, ich weiß
nicht...“
„ Das Risiko ist weniger
groß, als du denkst“, entgegnete Dietrich hektisch. Zur
Gräfin gewandt, sagte er: „Steigt bitte in den Sattel
meines Rappen. Ich werde ihn führen, während ihr Euren Sohn
zu Euch aufs Pferd nehmt.“
Gräfin Ida trat
neben Titus und griff nach dem vorderen Sattelbogen. Als sie einen
Fuß in den Steigbügel setzen wollte, hielt sie plötzlich
inne. „Warum eigentlich soll ich nicht auf meinem Zelter
reiten?“
„ Wir brauchen nur Titus.
Ihr reitet, und ich führe ihn für eine Weile in diesem
Rinnsal den Berg hinauf. Der Waldbach ist gerade breit genug, um mir
und dem Roß das Gehen darin zu ermöglichen. Außerdem
kann ich so leicht feststellen, ob irgendwo Stolperstellen
auftauchen, die dem Pferd und damit Euch gefährlich werden
könnten.“
„ Da werdet Ihr aber nasse
Füße bekommen“, bemerkte Ida in mitfühlendem
Ton.
Dietrich mußte
trotz der angespannten Situation lächeln. „Das ist schon
richtig, Gräfin. Aber auf diese Weise bleiben wenigstens Eure
Füße trocken. Denn beide Rosse müßten in diesem
schmalen Bachlauf geführt werden, damit sie nicht daneben treten
und so eine Spur hinterlassen. Deshalb ist es besser, nur Titus
mitzunehmen. Im übrigen sind meine Füße nicht so
wichtig wie Euer Wohlergehen, Gräfin.“
Inzwischen hatte
sich die Zofe den beiden genähert. Sie trug immer noch den
halbwachen Knaben auf dem Arm.
„ Meine Herrin kann Euch ja
die Füße abtrocknen, wenn sie naß geworden sind,
Herr Ritter“, sagte sie spitz. Ein silberner Lichtbalken des
Mondes tauchte gerade ihr Gesicht in gespenstisches Weiß, als
wollte er sie damit den anderen gegenüber besonders sichtbar
machen. Die ebenso unvermutete, wie schnippische Bemerkung verschlug
Dietrich für einen Moment die Sprache. Schließlich lachte
er verlegen und sagte zur Gräfin: „Ich wußte gar
nicht, daß Bertha so spaßig sein kann! Und das mitten in
der Nacht und im finsteren Wald!“
Die Gräfin
schien etwas ungehalten über die Äußerung ihrer Zofe.
„Bei ihr meint man zwar mitunter, ihr sei der Mund zugenäht,
was vielleicht besser wäre. Denn wenn sie ihn aufmacht, kommt
meistens nichts Gescheites heraus!“
„ Wir müssen
aufbrechen, Gräfin“, entgegnete Dietrich, dem
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