Die Klinge des Löwen 01
verfolgten Spur, um auf schnellstem Weg
den Wildpfad zu erreichen, auf dem sie gekommen waren. Dietrich
hoffte, die Verfolgten dort überholen zu können, da diese
im dichten Gehölz wohl nur langsam vorankamen. Greif, der nun
keine Spur mehr zu verfolgen hatte, umkreiste die beiden Männer,
lief ihnen voraus oder hinterher, wie es ihm gerade paßte.
Nach
einiger Zeit hatten sie den Pfad wieder erreicht. Sie überquerten
ihn und versteckten sich gegenüber dem geschlossenen Waldgebiet,
in dem die Entführer sich mit ihren Gefangenen durchschlugen.
Dietrich packte den Hund im Genick und zog ihn in den Schutz eines
Erlenbruchs. Auch Giselbert verschwand in der Deckung. Hier lauerten
sie nun ungesehen auf die Entführer und ihre Gefangenen. Wenn
Dietrichs Vermutung zutraf, würden sie irgendwo auf der jetzt
einsehbaren Strecke den Wald verlassen.
Während
sie warteten, musterte Dietrich die Umgebung und machte dabei eine
Entdeckung, die ihm gar nicht behagte. Er sah, daß sie sich
unweit des Platzes befanden, wo er Roland vor kurzer Zeit aus den
Händen der fünf Geroldsecker Waffenknechte befreit hatte!
Allerdings war anzunehmen, daß die Kerle wahrscheinlich immer
noch ihren Gäulen hinterher liefen. Er preßte die Lippen
zusammen und ließ seinen Blick über die Umgebung
schweifen. Alles war ruhig. Nein, von den Fünfen war nichts zu
sehen oder zu hören; sie würden jetzt wohl kaum auftauchen.
Nach ihren Reden, die er belauscht hatte, zu urteilen, schienen sie
nichts davon zu wissen, daß weitere Kriegsknechte der
Geroldseck zwei Meilen voraus mit derselben finsteren Absicht
unterwegs waren. Und nun war es denen sogar gelungen, den
verbrecherischen Auftrag auszuführen!
Seine
momentane Absicht, die Gefangenen im Handstreich zu befreien, kam ihm
wieder in den Sinn. Würden sie überhaupt kommen, oder hatte
er sich völlig verrechnet? Vielleicht hielten die Geiselnehmer
die von ihm vermutete Richtung gar nicht ein, sondern zogen es vor,
im Schutz des Waldes zu bleiben?
Alles
war still zwischen den Bäumen. Nichts bewegte sich, kein Laut
war zu hören. Selbst die Vögel schienen verschwunden. Auch
der Hund saß ruhig neben Dietrich und zeigte keinerlei
Anzeichen, die auf das Näherkommen von Fremden deuteten.
Friedlich lag die Landschaft im Glanz der sich langsam zu den
westlichen Bergen neigenden Sonne.
Dietrich
merkte, daß Giselbert zu ihm herüberstarrte und mit den
Schultern zuckte. Er gab ihm einen Wink, und der Kriegsknecht huschte
an seine Seite. „Sie müßten längst da sein“,
flüsterte er ihm zu. „Ich fürchte, wir haben sie
verloren!“
Giselbert
sah ihn entsetzt an. „Meint Ihr das im Ernst, Herr?“
„ Ich
habe keine andere Erklärung. Zwar kann ich mir nicht vorstellen,
daß sie erneut die Richtung wechselten - aber so sieht es im
Moment aus.“
„ Das
ist ja nicht auszudenken - die beiden Frauen und das Kind in den
Händen dieser Barbaren!“
„ Sie
werden es nicht wagen, Hand an sie zu legen“, erwiderte
Dietrich voller Ingrimm. „Aber damit dürfen wir uns
natürlich nicht zufriedengeben! Es muß uns einfach
gelingen, den ganzen Trupp zu stellen und die Unsrigen zu befreien!
Denn wenn die Kerle sie erst einmal auf die Geroldsecker Burg
verschleppt haben, dann ist alles zu spät.“
Was
er wirklich dachte, behielt er für sich: 'Wenn mir das passiert,
dann bin ich erledigt. Graf Max erklärt mich für vogelfrei,
wenn seiner Gemahlin und seinem Kind auch nur ein Haar gekrümmt
wird!'
Mit
düsterer Miene starrte er gedankenverloren in den Wald hinein.
War es ein Fehler, die Spur der Gefangenen und ihrer Häscher zu
verlassen? Gut, er hatte eine Entscheidung getroffen. Aber sein
Entschluß, hier zu warten, schien sich als verhängnisvoll
für die ihm anvertrauten Menschen zu erweisen. Später würde
niemand danach fragen, ob er für seine Schützlinge das
Beste gewollt hatte. Graf Max von Ortenburg würde seine
Verurteilung betreiben und ihn in Acht und Bann schlagen lassen. Aber
genau das wäre doch eine schreiende Ungerechtigkeit! Er hatte
sich wahrhaftig nicht zu diesem waghalsigen Unternehmen gedrängt.
Schließlich war er nur seiner Pflicht nachgekommen, indem er
die Anordnung seines Lehnsherrn befolgte. War nicht Graf Max genau so
schuldig, wenn es zu dem Undenkbaren kam? Hatte nicht er selbst Leben
und Gesundheit von Gemahlin und Kind riskiert, als er sich für
eine viel zu geringe Bedeckung für die beiden und deren
Kammerfrau entschied?
Ein
bitterer Zug spielte um
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