Die Klinge des Löwen 01
die er
dabei aufgescheucht, ihre ausgerissenen Gäule wieder einfangen
konnten? Zu sehen war nichts von ihnen. Damit drohte nach seiner
Meinung wenigstens von dieser Seite keine Gefahr.
Er
warf einen Blick zurück und faßte die Stelle ins Auge, wo
Giselbert Ausschau hielt. Von dem Waffenknecht war nichts zu sehen.
Er schien sich strikt an Dietrichs Befehl zu halten, in der Deckung
der Bäume zu bleiben und nur auf den Pfad herauszutreten, wenn
die Gesuchten sich in seiner Nähe bemerkbar machten. Dasselbe
galt für Roland, der sich Giselbert zeigen sollte, falls es aus
dem gleichen Grund für ihn notwendig wurde. Dietrich konnte den
Knappen nicht sehen, weil ihm in Höhe von Giselberts Standort
durch die Bäume die Sicht versperrt war, da der Pfad dort etwas
nach rechts schwenkte. Somit war eigentlich Giselbert der Dreh- und
Angelpunkt der Falle, die sie den Entführern gestellt hatten.
Dietrich
zweifelte nicht daran, daß er mit diesem Plan das
Menschenmögliche getan hatte, um die Gräfin doch noch aus
den Klauen der Geroldsecker zu befreien. Mit einem einzigen
Waffenknecht und einem Halbwüchsigen an seiner Seite, gab es für
ihn keine Möglichkeit, mehr zu tun. Sollte also die jetzt so
sorgfältig vorbereitete Befreiungsaktion schiefgehen, dann war
sein Schicksal besiegelt...
Um
nicht wieder in trübe Gedanken zu verfallen, konzentrierte er
sich auf seinen Beobachtungsbereich und spähte und horchte in
den Wald hinein. Eine Schwarzdrossel begann zu flöten, und ihre
wiederkehrenden melodischen Töne stimmten ihn etwas
zuversichtlicher. Dazu passend, fächelte eine sanfte Brise die
Wipfel der Bäume.
Hatte
da eben ein Zweig geknackt? Dietrich lauschte mit angehaltenem Atem.
Aber nichts regte sich. Nur der süße Gesang der
Schwarzdrossel unterbrach die Stille. Dietrich warf einen Blick
zurück. Eine heiße Welle durchfuhr ihn. Dort stand Gisbert
mitten auf dem Pfad. Er winkte aufgeregt und deutete in den Wald
hinein. Dietrich war mit wenigen Sätzen bei seinem angebundenen
Rappen, löste die Zügel vom Baum, und eilte, Titus mit sich
führend, zu Fuß dem Platz entgegen, wo sein Waffenknecht
ihn erwartete. Der umsichtige Krieger hatte inzwischen auch Roland
alarmiert, der zu gleicher Zeit wie Dietrich bei Giselbert eintraf.
Indessen umrundete Greif mit gespannter Aufmerksamkeit die Männer,
da er offenbar spürte, daß etwas Aufregendes im Gange war.
„ Sie
kommen!“ flüsterte der Waffenknecht Dietrich zu. „Hört
Ihr?“
Dietrich
lauschte. Gegen den Berghang zu hörte man das Brechen und
Knacken von Zweigen, unzweifelhaft hervorgerufen durch eine Gruppe
von Menschen und Pferden. Der Hund stand jetzt still und witterte mit
hochgestellten Ohren in die Richtung dieser Geräusche.
„ Die
sind aber noch tief im Wald drin“, meinte Dietrich nach einer
Weile. „Anscheinend arbeiten sie sich durch das Unterholz.“
Giselbert
nickte. „Da dürfte es noch eine Weile dauern, bis sie den
Pfad erreichen.“
„ Ja,
und ganz sicher wird das nicht hier in der Nähe sein.“
„ Ihr
meint, die Schurken ziehen es vor, im Wald zu bleiben?“
„ Es
scheint so. Die Beute ist ihnen zu wertvoll, um sie leichtfertig aufs
Spiel zu setzen.“
„ Dann
müssen wir sie eben im Wald angreifen. Was meint Ihr?“
„ Wohl
oder übel, aber nicht hier. Ich habe vorhin gesehen, daß
ein Stück weiter westlich der Wald wie abgeschnitten aufhört.
Da ist eine fast baumlose Lichtung von schätzungsweise
vierhundert Ellen Breite. Dort, am östlichen Ende der freien
Fläche, verstecken wir uns im Wald und überraschen die
Entführer. Beeilen wir uns, damit wir in Ruhe ein Versteck
suchen können!“
Alle
drei schwangen sich auf ihre Rosse und ritten im Schritt, um die
Häscher nicht aufmerksam zu machen, zu der von Dietrich
bezeichneten Stelle. Greif lief lautlos neben den Rossen her, als
wüßte er, daß jedes Geräusch sie verraten
würde. Unterwegs mußte Roland noch das Saumpferd holen.
Als er mit dem Tier wieder zu den anderen stieß, meinte er
zuversichtlich: „Jetzt, wo wir das Gepäck wieder haben,
brauchen wir nur noch unsere Leute zu befreien, und alles ist wieder
beisammen!“
Dietrich
schmunzelte, aber seine Stimme klang skeptisch: „Du meinst, das
sei ein gutes Omen? Wir werden sehen!“
Nachdem
sie die freie Fläche erreicht hatten, sprang Dietrich als erster
aus dem Sattel und horchte in die Richtung, in der er die durch den
Wald ziehende Gruppe vermutete. Die Geräusche von vorhin waren
zwar nur schwach,
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