Die Klinge des Löwen 01
Anstrengung
gerötet. Der unvermutet vor ihm auftauchende geharnischte*
Ritter schien ihm solches Entsetzen einzujagen, daß er wie in
Trance nach seinem Schwert tastete. Hinter ihm kam der ganze Zug zum
Stehen.
*[Harnisch
= Rüstung. Im Hochmittelalter ein Kettenhemd.]
Mit
einem Satz war Dietrich bei ihm und hielt ihm die Schwertspitze an
die Kehle. „Laß deine Hand von der Waffe!“
Sein
Opfer streckte hilflos beide Arme zur Seite und wagte nicht mehr,
sich zu rühren. Währenddessen war Giselbert neben ihn
getreten.
„ Entwaffne
ihn!“ rief Dietrich ihm zu. Giselbert handelte sofort und riß
dem feindlichen Krieger das Schwert aus der Scheide.
„ Auf
den Bauch mit dir!“ fuhr Dietrich den Überrumpelten an.
Der so plötzlich ohne Waffe dastehende Kriegsmann ließ
sich gehorsam auf das vom letzten Herbst herrührende dürre
Laub sinken, das wie ein brauner Teppich den Waldboden bedeckte.
„Arme an die Seiten legen; Beine spreizen! Wage nicht, dich zu
bewegen!“
Der
andere gehorchte wortlos. Giselbert stellte ihm seinen linken Fuß
auf den Nacken, um den Gefangenen unten zu halten, und hielt
gleichzeitig sein Schwert stoßbereit über den Rücken
des vor ihm Liegenden. Alles lief in wenigen Augenblicken ab.
Aber
diese kurze Frist hatte dem zweiten Mann genügt, entsprechend zu
reagieren. Er hatte den kleinen Bernhard abgesetzt, blitzschnell
seinen Dolch gezogen und hielt jetzt die Gräfin von hinten
gepackt, wobei er ihr die Klinge an die Kehle setzte.
„ Noch
einen Schritt“, schrie er heiser, „und ich schneide ihr
die Gurgel durch!“
Dietrich
und Giselbert erstarrten.
Dietrich
faßte sich als erster. „Dafür wirst du hängen,
du Verbrecher!“ rief er in ohnmächtiger Wut, wagte es aber
nicht, sich zu rühren. Mittlerweile hatte der letzte Mann die
Zügel der mitgeführten Pferde fahren lassen und eilte nach
vorne, um seinem Kumpan Beistand zu leisten.
Der
kleine Bernhard stand hilflos zwischen seiner Mutter, die sich in der
Gewalt der feindlichen Kriegsknechte befand, und den Rettern, die
nicht einzugreifen wagten, um das Leben der Gräfin nicht zu
gefährden. Die Zofe im Hintergrund hielt sich vor Schreck die
Hand vor den Mund und stand mit angstgeweiteten Augen ebenfalls wie
angewurzelt.
Ohne
sich von der Stelle zu rühren, rief Dietrich dem Kind der Gräfin
zu: „Bernhard, komm hierher zu mir!“
„ Der
Knabe bleibt, wo er ist!“ schrie der Mann mit dem Dolch und
drückte Ida die Klinge fester gegen die Kehle. „Und du,
Harald“, rief er dem am Boden Liegenden zu, „steh auf und
komm zu uns herüber.“
Ohne
den Kopf zu wenden, befahl Dietrich: „Giselbert, wenn der
Gefangene aufzustehen versucht, stoße ihm das Schwert zwischen
die Rippen!“
„ Ist
Euch das Leben Eurer Herrin so wenig wert, Herr Ritter“, schrie
der andere wutentbrannt, „daß ihr es leichtfertig aufs
Spiel setzt?“
„ Du
irrst dich, Schurke!“ erwiderte Dietrich mit seltsamer
Gelassenheit. „Es ist dein Leben, das keinen Pfifferling mehr
wert ist, wenn du die Gräfin nicht augenblicklich losläßt!“
„ Was
für eine alberne Drohung!“ schrie der Kriegsknecht
hohnlachend, während Dietrich leicht den Kopf senkte. „Damit
könnt ihr mir nicht impo-nier...“
Der
Rest des Wortes ging in einem gurgelnden Laut unter. Die Arme, die
Ida eben noch brutal umklammert hatten, fielen schlaff herab. Der
Dolch entglitt der Hand des Kriegsmannes, der lautlos zu Boden sank
und auf das Gesicht fiel. In seinem Rücken, unmittelbar in der
Herzgegend, steckte ein Pfeil. Sein neben ihm stehender
Waffengefährte, rannte in panischer Angst, alles im Stich
lassend, bergwärts davon. Die Gräfin indessen flüchtete
sich mit einem leisen Schrei in die Arme des Ritters, der sie
schützend umfing.
„ O
Gott, wer hat uns gerettet?“ flüsterte sie mit erstickter
Stimme.
„ Das
war Rolands Pfeil, Gräfin.“
Sanft
löste er sich von Ida und fuhr fort: „Wir müssen
jetzt rasch handeln. Die Gefahr ist noch nicht vorbei!“
Zu
Giselbert gewandt, befahl er: „Fessle den Gefangenen und laß
ihn liegen. Die anderen werden ihn und den Toten schon finden.“
Inzwischen
war auch Roland zu der Gruppe gestoßen. Impulsiv eilte die
Gräfin auf ihn zu und umarmte ihn. „Guter Junge! Dir vor
allem verdanke ich heute mein Leben! Das werde ich dir nie
vergessen!“
Dietrich
schmunzelte, als er das Gesicht seines Knappen in voller Röte
leuchten sah, wurde aber gleich wieder ernst. „Eigentlich“,
knurrte er mit
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