Die Klinge des Löwen 02
gleich auf!“
Der
Waffenknecht straffte seine Hünengestalt und entgegnete mit
zuversichtlicher Stimme: „Verlaßt Euch darauf, ich werde
mit der Verstärkung so schnell wie möglich zurückkommen
und nichts soll mich aufhalten!“
Als
Dietrich schließlich mit den beiden Frauen und dem Kind allein
war, tauchte ein bisher nicht bedachtes Problem auf. Es war Bertha,
die darauf gestoßen war.
„ Wie
sollen wir eigentlich da hinaufkommen?“ fragte sie und zeigte
auf das Felsplateau.
Dietrich
starrte sie einen Moment verblüfft an und wandte sich dann der
Gesteinsformation zu. Er erkannte mit unangenehmer Deutlichkeit, daß
es für eine Frau in langen Kleidern so gut wie unmöglich
sein würde, die nahezu senkrechten Felswände zu erklimmen.
„ Dieses
Ding vermögen wir nie im Leben zu erklettern“, ließ
sich jetzt auch Ida vernehmen, und in ihrer Stimme klang eine
Hoffnungslosigkeit mit, die Dietrich ins Herz schnitt. Er überlegte
krampfhaft. Zum Teufel, sie wären ja den Verfemten dieses Waldes
hilflos ausgeliefert, wenn das wahr wäre! Natürlich, für
einen Mann war es zwar nicht einfach, aber durchaus möglich, an
den Felsen hinaufzuklettern. Zwischen dem den Sockel bildenden
Gestein und der oben aufliegenden Plattform befand sich an einer
Stelle ein etwas vorspringender Absatz, der einem geschickten
Kletterer Halt bot. Aber nie und nimmer war das etwas für eine
Frau!
Ida
trat auf ihn zu und umklammerte seinen Arm. Die sonst dunkle Tönung
ihres schönen Antlitzes war geisterhafter Blässe gewichen.
Dietrich faßte nach ihrer Hand und tätschelte sie
beruhigend.
„ Wir
finden einen Weg“, sagte er mit grimmiger Entschlossenheit. Er
lächelte, um sich den Anschein von Zuversicht zu geben. Die
Gräfin ließ seinen Arm wieder los, aber er sah, wie ihre
Augen ihn ungläubig anblickten. Verlegen wandte er sich wieder
dem Felsenstuhl zu, der ihm soviel Kopfzerbrechen bereitete. Während
er angestrengt über das Problem nachdachte, nahm er unbewußt
wahr, wie ein kleiner Vogel mit rotbrauner Brust und weißen
Flügelbinden sich auf einem Ast der hohen Buche hinter dem
Heidentempel niederließ und melodisch zu pfeifen begann. Der
kräftige Finkenschlag eines Artgenossen antwortete aus der
Ferne. Es schien wie ein Signal zu wirken, denn nach und nach fielen
andere Vogelarten ein und erfüllten schließlich mit ihren
Stimmen den Wald, gleich einem hellen, jubelnden Kinderchor.
Schließlich verstummte der kleine Vorsänger und flog in
die Nähe der Menschen, wo er sich auf der Spitze eines
abgebrochenen und längst dürren Fichtenstammes niederließ.
Dietrich,
der dem Buchfink mit den Augen gefolgt war, musterte die etwa
fünfzehn Fuß hohe Baumruine, die kaum dicker als ein
kräftiges Männerbein war. Von den einstigen Ästen
waren nur noch die Quirle übrig, die nackt und kahl in die Luft
starrten. Sinnend betrachtete er den toten Stamm...
Das
war doch der ideale Steigbaum! ging es ihm plötzlich durch den
Kopf. Langsam ging er darauf zu und sah ihn sich genauer an. Dem
Buchfinken war dies wohl unangenehm, denn er flog eilig auf, um sich
erneut hoch oben auf dem Baum hinter der Felsformation
niederzulassen. Dort, in luftiger Höhe, stimmte er erneut seinen
Gesang an. Aber Dietrich hatte jetzt kein Ohr für die von dem
winzigen Sänger laut geschmetterte Frühlingsmelodie. Ihn
beschäftigte der dürre Baum mehr als alles um ihn herum.
Die
Astquirle hatten einen Abstand von weniger als einer Elle
voneinander. Genau die richtige Entfernung, um daran hochzuklettern!
Er legte beide Hände an den toten Baum und drückte dagegen.
Nichts bewegte sich. So morsch war der Stamm noch gar nicht, daß
er dem Druck eines Mannes nachgegeben hätte. Inzwischen waren
Ida und ihre Zofe mit dem Kind auf dem Arm herangekommen.
„ Was
soll das werden?“ fragte die Gräfin.
Dietrich
warf ihr einen aufmunternden Blick zu. „Diesen Baumstamm werden
wir als Leiter verwenden.“
Bertha,
die plötzlich praktische Eigenschaften zu entwickeln schien,
sagte: „Und wie wollt Ihr den Stamm zu dem Felsen schaffen? So
morsch, wie Ihr geglaubt habt, ist er offensichtlich nicht. Wir
bräuchten eine Axt, aber die haben wir nicht.“
Dietrich
grinste. „Das ist wohl wahr. Aber wir brauchen keine Axt, denn
wir haben etwas Besseres!“
„ So?“
warf Ida in ungläubigem Ton ein. „Wollt Ihr gar den Stamm
mit Eurem Schwert umhauen? Ich glaube nicht, daß Eure Waffe das
aushielte!“
„ Sicher
nicht“, entgegnete Dietrich lachend.
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