Die Klinge des Löwen 02
flimmerte. Die Kleidung der beiden befand sich in einem
erbärmlichen Zustand: die Beinkleider zerrissen und notdürftig
geflickt, die groben Leinenkittel, wohl einst braun gefärbt,
dunkel und von speckigem Glanz und mit ausgefransten schmutzigen
Ärmeln, die Füße in löchrigen Bundschuhen, aus
denen die ebenso schmutzigen Zehen hervorstarrten. Die Augen des
Älteren blickten jetzt trübe und unentschlossen, während
der Jüngere den kampfbereiten Ritter immer noch furchtsam
anstarrte. Bei alledem wurde überdeutlich, daß der Hunger
ihr Meister zu sein schien.
Noch
ehe Dietrich sie zur Rede stellen konnte, hatten sie sich umgedreht
und verschwanden wie Spukgestalten wieder in der Tiefe des Waldes. Er
sah nach seinen Reisegefährten, die das Geschehen starr vor
Schreck verfolgt hatten, und winkte ihnen beruhigend zu. Dann ging er
mit gezücktem Schwert weiter, um die Umgebung abzusuchen.
Zwischen den Fichten, die er im Auge hatte, fand er im feuchten
Waldboden genau dort Fußabdrücke, wo er anfangs die dunkle
Gestalt entdeckt zu haben glaubte. Er wußte jetzt, daß er
sich nicht getäuscht hatte. Während er noch die frischen
Spuren betrachtete, kamen ihm allmählich Zweifel, daß sie
von den beiden Strauchdieben herrührten. Schließlich waren
sie aus einer anderen Richtung gekommen, die nicht mit einem
Aufenthalt an dieser Stelle in Einklang zu bringen war. Sie hätten
einen zeitraubenden Umweg in Kauf nehmen müssen, um den Platz zu
erreichen, von dem aus sie den Angriff versuchten. Soviel Zeit war
jedoch zwischen Dietrichs Entdeckung der dunklen Gestalt und dem
Auftauchen der beiden Buschräuber nicht verstrichen. Sollte es
möglich sein, daß sich noch mehr von diesen Kerlen hier
herumtrieben? Waren sie Mitglieder der gefürchteten
Geroldswaldbande? Lief er jetzt gar Gefahr, samt seinen Schützlingen
den Gesetzlosen in die Hände zu fallen, wenn sie weiterritten?
Hatte man sie schon umzingelt und lauerte auf den richtigen
Augenblick, um über sie herzufallen?
Wie
ein Mückenschwarm schwirrten Dietrich diese unangenehmen
Gedanken im Kopf herum, während er mit engen, spähenden
Augen und aufs äußerste angespannt die Umgebung
durchforschte. Nachdem er aber keine Anzeichen für die
Anwesenheit weiterer zwielichtiger Gestalten fand, kehrte er
schließlich zurück zu den anderen. Die Frauen starrten ihm
angstvoll entgegen, Giselbert bedachte ihn mit einem nachdenklichen,
forschenden Blick. Nur der Knabe, den die Zofe vor sich im Sattel
hatte, spielte sorglos mit dem Mähnenhaar ihres Zelters.
Dietrich beschloß, ihnen die Lage zu verdeutlichen, auch auf
die Gefahr hin, die beiden Frauen zu erschrecken. Es ging nicht
anders. Denn blitzartig war ihm klar geworden, daß sie die
Weiterreise jetzt nicht antreten konnten; nicht, so lange sie nicht
wußten, was sie in dieser Gegend erwartete.
„ Was,
um Gottes willen, waren das für fürchterliche Menschen?“
empfing ihn Ida gleich mit bebender Stimme.
Er
winkte ab und tat geringschätzig. „Wegelagerer ohne Mut.
Wenn nicht mindestens ein halbes Dutzend von der Sorte beieinander
sind, kann ein entschlossener Mann sie leicht in die Flucht
schlagen.“
So
einfach war jedoch die Gräfin nicht zu beruhigen, und auch die
Zofe sah sich ängstlich um. „Meint Ihr nicht, daß
noch mehr von dem Gesindel in diesem Wald steckt?“
„ Das
kann schon sein, aber gesehen habe ich außer den beiden
niemand.“ Er verschwieg, daß er Spuren gefunden hatte,
die wohl nicht von diesen Kerlen stammten, um die Frauen nicht noch
mehr zu beunruhigen.
„ Was
also ist zu tun? Was schlagt Ihr vor?“
Während
sich Dietrich unschlüssig die Nase rieb, warteten alle auf seine
Antwort. Sein Blick streifte die Felsformation der Findlinge.
Nachdenklich betrachtete er die aufeinanderliegenden Steinblöcke.
„ Das
ist eine interessante und nützliche Anordnung“, sagte er
nach einer Weile und deutete auf den riesigen Felsenstuhl.
„ Wieso
nützlich?“ fragte Ida verwundert.
„ Ganz
einfach. Wir werden uns dort oben für ein, zwei Tage häuslich
einrichten müssen. Das Plateau ist schwer zugänglich. Ein
einzelner kampferprobter Mann kann es leicht verteidigen, besonders
wenn die Angreifer schlecht bewaffnet sind. Und das ist bei diesem
Waldgesindel der Fall; die haben wahrscheinlich nichts als ihre
Holzknüppel.“
„ Ja,
was, um Gottes willen, sollen wir denn auf diesen finsteren Felsen?“
fragte Ida betroffen.
Dietrich
strich sich etwas verlegen über die Nase. „Nun, ich
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