Die Klinge des Löwen 02
Miene, die er tags zuvor während
der Gerichtsverhandlung gezeigt hatte. Er schien tatsächlich in
ausnehmend guter Laune zu sein, was in schroffem Gegensatz zu Idas
ernstem Gesicht stand. Für Dietrich war das veränderte
Verhalten seines Lehnsherrn ein Rätsel, mit dem er sich
allerdings nicht weiter beschäftigte, da er durch ein anderes
erstaunliches Ereignis abgelenkt wurde.
Vor
der Tribüne ereignete sich eine Szene, die alle Zuschauer in
ihren Bann schlug. Graf Max umarmte seine Gemahlin Ida, küßte
sie zärtlich auf die Stirn und drückte sie noch einmal an
sich, während der Herzog lächelnd dabeistand. Ida löste
sich von ihrem Gemahl und begab sich erhobenen Hauptes in
schneeweißem Gewand zu dem Platz, wo Dietrich und sein Knappe
warteten. Sie wurde begleitet von ihrer Zofe Bertha und einem Diener
der Burg, der etwas trug, das in ein rotes Tuch eingehüllt war.
Die
versammelten Menschen sahen, wie Dietrich sich auf ein Knie sinken
ließ, als Ida vor ihm stand, aber nur die nächsten
Zuschauer verstanden, was er sagte: "Teure Herrin, meine Klinge
soll heute Eure Ehre wiederherstellen oder ich will diesen Platz
nicht lebend verlassen!"
Alle
sahen, wie die Gräfin huldvoll den Kopf neigte und der traurige
Ernst ihres Antlitzes einem liebreizenden Lächeln wich, als sie
Dietrich antwortete: "Ich danke Euch, Herr Ritter. Immer, wenn
ich unter Eurem Schutz stehe, fürchte ich nichts."
Sie
gebot ihm mit einer Handbewegung, sich wieder zu erheben und sagte:
"Wartet!" Auf ihren Wink reichte der in der Nähe
stehende Diener ihr jenen Gegenstand, der in das rote Tuch
eingeschlagen war.
"Herr
Dietrich", sagte Ida leise und öffnete dabei das Tuch, so
daß eine auf den ersten Blick unscheinbare Wurzelknolle zum
Vorschein kam. "Ich bitte Euch, nehmt diese Zwiebel des
Allermannsharnisch und tragt sie beim Kampf bei Euch. Sie wird Euch
beschützen!"
Sie
überreichte ihm die seltsame Zwiebel, deren äußere
Hülle netzartig durchbrochen war und tatsächlich dem Gewebe
eines Harnischs glich. Die Kirche sah diesen weitverbreiteten Brauch
mit Unwillen. Aber nach dem Volksglauben sollte die Wurzelknolle der
Siegwurz* - wie die Pflanze im Volksmund auch genannt wurde - den
Träger gleich einem Harnisch aus Eisengliedern vor Verletzungen
schützen. Diese Vorstellung steckte in vielen Köpfen, und
nicht nur in denen des niederen Volkes, mochte die Kirche auch noch
so sehr gegen solche heidnischen Bräuche wettern.
* [ Siegwurz
= Sumpfgladiole, steht in Deutschland unter Naturschutz . ]
So
war es auch nicht verwunderlich, daß die Zuschauer der Übergabe
des Talismans fast andächtig beiwohnten. Sie sahen es als das
berechtigte Bemühen einer Edelfrau, ihren Kämpfer gegen
Niederlage und Tod zu feien, und dachten sich weiter nichts dabei.
Anders Dietrich, der für einen kurzen Moment den glutvollen
Blick Idas aufgefangen hatte und wußte, daß sie die Farbe
Rot nicht ohne Grund für die Umhüllung des
Allermannsharnischs gewählt hatte. Rot war die Farbe der Liebe!
Und nachdem er die kleine Zwiebel und das Tuch sorgfältig unter
seinem Waffenrock verwahrt hatte, wandte er sich - um seine Freude
über diese Entdeckung zu verbergen - mit ernstem, entschlossenem
Gesicht seinem Streitroß zu und schwang sich in den Sattel.
Inzwischen
hatte Urban von Geroldseck mit geringschätzig verzogenen
Mundwinkeln das Geschehen verfolgt. Er nahm mit einigem Mißvergnügen
wahr, daß die Mehrzahl der Zuschauer angesichts der würdevollen
Haltung der beiden dem Gottesgericht überantworteten Angeklagten
tief bewegt schien. Sein Ärger verrauchte jedoch, als ein lautes
Posaunensignal ertönte, das die beiden Kämpfer zur Tribüne
rief. Dort thronte jetzt in prächtigem Gewand Herzog Berthold
und wartete auf die beiden Kontrahenten, die sich auf ihren Rossen
auf die Galerie der Edelleute zubewegten.
Dabei
ereignete sich ein kleiner Zwischenfall, den allerdings kaum einer
der Zuschauer wahrnahm. Während Graf Urban auf seiner
schwarzgewandeten Schimmelstute daherritt, stellte Dietrich, der sich
von der anderen Seite näherte, verdutzt fest, daß sein
Rappe plötzlich unruhig wurde. Er gewahrte auch, wie Titus den
Kopf hob und die Oberlippe hochzog.
Dietrich
schüttelte den Kopf und warf dem Geroldsecker einen mehr
spöttischen als ärgerlichen Blick zu. Dann brachte er mit
einem kurzen, scharfen Befehl sein Roß zur Ruhe. Lange genug
hatte er für die Erziehung des Hengstes gebraucht, um ihn auch
in einer solchen Situation unter Kontrolle
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