Die Klinge des Löwen 03
Herzog Berthold durch schnelle Boten entsprechend
benachrichtigen müssen, am besten mündlich, um
auszuschließen, daß den Slawen eine schriftliche
Botschaft in die Hände fiele; mit Hilfe der so alarmierten
Fürsten wäre es wohl gelungen, noch einmal ein starkes Heer
zusammenzuziehen und die in verschiedenen Lagern untergebrachten
Streitkräfte der Slawen einzeln anzugreifen und zu vertreiben.
Aber diese Gelegenheit wurde durch die Tatenlosigkeit der einen und
die Unkenntnis der anderen vertan. Statt dessen herrschte der
polnische Heerführer fortan von der Marktsiedlung aus mit harter
Hand über die ganze Region.
Auch Dietrich hatte
keine Kentnis von den Vorgängen draußen im Lande. Er trug
jetzt die volle Verantwortung für die Ortenburg und deren
Bewohner, und es gab in diesen Tagen vieles mit Anselm Hutter, dem
Kämmerer, und mit der Burgherrin Ida zu besprechen. Alles war in
dem regenlosen Sommer zusammengekommen, und um die Finanzen war es
schlecht bestellt, denn die Ernte war mehr als dürftig
ausgefallen. Manche Getreidefelder bestanden nur aus ährenlosen
Halmen. Was an Korn trotz Wassermangel gereift war, hatten die
Slawenhorden bei ihren Raubzügen teilweise niedergetrampelt.
Vieh mußte notgeschlachtet werden, weil das Futter nicht
ausreichte. Und zu allem kamen anteilige Kosten für den
verlorenen Kriegszug, die von den Edelleuten der Mortenau zu tragen
waren.
Aus dem unter der
Burg liegenden Ort Dattenwiller kamen täglich Notrufe der
Bewohner. Während sie es in der Vergangenheit als Hörige
der Burg leicht hatten, weil Graf Max sie nur mäßig zu
Diensten heranzog und sie ein zwar bescheidenes, aber doch sicheres
Leben führen konnten, tauchten jetzt täglich Frauen samt
ihrem Nachwuchs vor dem Burgtor auf und begehrten Anselm Hutter zu
sehen. Trat dann der Kämmerer vor das Tor, konnte es geschehen,
daß sich Kinderhände an seinen Rock klammerten und blasse,
hohlwangige Gesichter ihn aus übergroßen umschatteten
Augen anstarrten, während ihre Mütter ihn um Nahrungsmittel
anflehten.
"Was soll ich
machen?" sagte er an einem sonnigen Oktobermorgen betrübt,
als er mit Ida und Dietrich in der Kemenate der Witwe wegen einer
Bestandsaufnahme zusammensaß. "Es bricht mir fast das
Herz, wenn die hungrigen armen Würmer um ein Stück
trockenes Brot betteln."
Die Gräfin trug
ein türkisfarbenes Gewand mit einem auffällig tiefen
Dekolleté. Sie saß, den beiden Männern gegenüber,
auf einem schwarz angemalten Armstuhl. An der Wand hinter ihrem
Rücken hing ein großer Teppich mit einer Jagdszene, deren
in dunklem Grün gehaltener Hintergrund Ida zu einem Teil der
Abbildung zu machen schien. Von diesem Effekt ahnte sie wohl nichts,
denn sie betrachtete stirnrunzelnd ihren Kämmerer. "Anselm,
du mußt auch an den Winter denken. Wir können nicht alle
und jeden versorgen, wenn kein Nachschub kommt."
Als Dietrich sie so
betrachtete, während sie sich mit dem Kämmerer
auseinandersetzte, wurde ihm plötzlich bewußt, daß
er Ida mit seiner Gemahlin Adelheid
verglich. An deren Gesicht jedoch, die er seit der Hochzeit
kaum dreimal gesehen hatte, erinnerte er sich seltsamerweise nur
undeutlich, so sehr er sich auch anstrengte. In der Rückschau
hatte er das nebelhafte Bild einer mageren, blassen Person vor sich.
Die Witwe des verstorbenen Burgherrn dagegen erschien ihm noch
anziehender, als sie es bereits zu Lebzeiten des Gemahls war. Ihr
ebenmäßiges, makelloses Antlitz, mit dem fast unmerklichen
Braunton ihres Teints und den
dunklen Braunaugen, mußten den Blick eines jeden Mannes auf
sich ziehen. Während sie Anselm zugewandt war, hatte Dietrich
Muße, ihre schlanke Gestalt zu betrachten. Sie war etwas voller
geworden, was ihr gut stand. Und ihre straffen Brüste, von dem
Halsausschnitt ansatzweise freigegeben, wölbten sich unter der
schimmernden Seide ihres Kleides allzu deutlich, als daß er sie
hätte übersehen können.
Er
spürte, wie die alte Begehrlichkeit wieder in ihm aufsprang,
gleich einer Flamme, die ein Windstoß neu entfacht, wenn er in
die Glut eines zusammengesunkenen Holzfeuers fährt. Sie trug das
blauschwarz schimmernde Haar offen wie eine Jungfrau, keine Haube
bedeckte es, und kein Schleier verbarg ihre leicht geringelten,
kunstvoll gelegten Locken und den weißen Nacken. So zeigte sie
sich zwar nicht in der Öffentlichkeit, zumal sie in der
Trauerzeit nicht ins Gerede kommen wollte. Aber vor den beiden
Männern erlegte sie sich derlei Hemmungen nicht auf. Sie wußte,
daß
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