Die Klinge des Löwen 03
allem Dietrich nur ungern erinnerte. In der Hektik der
Flucht hatten er, Giselbert und Roland den toten Burgherrn in einem
Graben verstecken müssen, um sich vor den anrückenden
Feinden vollends in Sicherheit zu bringen. Bei Nacht und Nebel waren
sie dann noch einmal aufgebrochen, um den Leichnam zu bergen. Das
gelang ihnen zwar ungesehen, aber nach ihrer Rückkehr war es
nicht möglich, den Einzug des toten Grafen in seine Burg würdig
zu gestalten. Auf der Ortenburg herrschte nämlich in jener Nacht
das Chaos - im Schein mehrerer Lagerfeuer füllte viel Kriegsvolk
den inneren und äußeren Burghof; die zahlreichen
Gefangenen aus dem Kampf gegen die zuerst von Norden eingefallenen
Slawen waren nahe der Kapelle zusammengepfercht und wurden bewacht;
überall lagen Verwundete, die stöhnten und schrien, und
dazwischen eilten Mägde und Knechte hin und her, die Bruder
Josef, dem heilkundigen Mönch der Burg, zur Hand gehen mußten.
Unter diesen
Umständen schien es geraten, den toten Grafen ohne viel Aufsehen
beizusetzen, was dann zum Leidwesen der Hinterbliebenen auch so
geschah. Überhaupt, wenn Dietrich über die jüngste
Vergangenheit nachdachte, fiel ihm auf, daß bei ihnen seit dem
Nahen der Slawen alles in Eile vor sich ging. Es begann vor nunmehr
fast einem Vierteljahr mit dem plötzlichen Abbruch jenes
denkwürdigen Gottesgerichts, setzte sich fort mit der
überstürzten Verteidigungsplanung und einer hastigen
Aufstellung des Heeres; die Thiersburg, sein Lehensbesitz, wurde ihm
in aller Eile übereignet; die Hochzeit mit Adelheid glich einer
notgedrungen abgehaltenen Veranstaltung, die man schnell hinter sich
bringen wollte. In dieser zuvor nie gekannten Hektik erfolgte auch
die unwürdig rasche Bestattung des gefallenen Grafen Max. Der
vorläufige Höhepunkt war das flüchtige Zeremoniell,
mit dem er zum Lehensträger für die Ortenburg ernannt
wurde.
Ja, solch
unangenehme Wahrheiten traten einem vor die Augen, wenn eine
Fremdherrschaft das Zepter schwang! ging es Dietrich eines Tages
durch den Sinn. Er saß untätig in einer der Fensternischen
im Großen Saal der Ortenburg und blickte durch das
offenstehende Fenster hinunter auf das schwache Treiben im inneren
Hof. Der Trubel und das Durcheinander nach der verlorenen Schlacht
waren Vergangenheit. Von den Gefangenen hatte man fünfzehn
behalten, die jetzt für schwere Arbeiten eingesetzt wurden. Auch
die Thiersburg erhielt auf diese Weise einige zusätzliche
Arbeitskräfte. Die anderen waren in nächtlichen Aktionen
auf mehrere Burgen der Region verteilt worden.
Vieles mußte
jetzt im Schutze der Dunkelheit geschehen. Dietrich dachte voll
Bitterkeit an die Veränderungen, die allenthalben emporwuchsen.
Die von alters her gewohnten Sitten und Gebräuche wurden
allmählich durch den Einfluß der alles bedrohenden
landfremden Macht erstickt. Was vertraut war, mußte nun
zurückstehen vor den bitteren Notwendigkeiten. Notwendig war zum
Beispiel, genügend Nahrung für den Winter zu haben, und
damit sah es düster aus. Was an Getreide geerntet werden konnte,
lagerte bereits in den Kornspeichern. Aber das war nicht viel. Das
meiste Getreide war, als es auf dem Halm stand, bei Streifzügen
marodierender* Slawentrupps von deren Rossen niedergetrampelt worden.
*[ marodieren
= plündern ]
In der Mortenau
herrschte der Terror. Nach der verheerenden Niederlage bei den
Thiersperger Höhen hatten sich die überlebenden Edelleute
auf ihre Burgen zurückgezogen und das Land dem Feind überlassen.
Daß es so gekommen war, lag nicht zuletzt an der
Fehleinschätzung des Grafen Urban von Geroldseck, der sich
eingebildet hatte, mit den von einem Gefecht und zwei Gewaltmärschen
ermüdeten Kriegern eine Schlacht zu gewinnen, und das auch noch
gegen einen Gegner, der fast doppelt so stark war. Unter der Führung
des Geroldseckers hatte das Mortenauer Heer die Hälfte seiner
Krieger verloren. Die meisten lagen erschlagen auf der Walstatt, zum
Fraß für die Krähen, die in riesigen Schwärmen
von der grauenhaften Tafel angezogen wurden, daß man mitunter
meinte, Wolken verdunkelten den Himmel, wenn sie einfielen. Wer den
slawischen Eroberern lebend in die Hände fiel, war in
Gefangenschaft und damit in die Sklaverei geraten.
Wider Erwarten hatte
der Slawenführer Gotvac den Sieg über das Ritterheer nicht
genutzt, um weiter ins Künzigtal hinein vorzustoßen. Statt
dessen zog er sich in die bereits von seinem Unterführer Branka
eroberte Marktsiedlung Offinburc zurück, wo er
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