Die Klinge des Löwen 03
Anselm Hutter ein vertrockneter alter Knabe war, der nur
Augen für seine Zahlen hatte, mit denen er sich den lieben
langen Tag in seinem dämmrigen Kämmerlein beschäftigte.
Ihn brauchte sie nicht zu fürchten; anders war es mit Dietrich.
Für ihn hatte sie die Fäden ihrer Reize absichtlich neu
geknüpft, denn ihn wollte sie schon umgarnen. Dazu nutzte sie
jetzt, im Bewußtsein der unverhofft gewonnenen Freiheit, jede
sich bietende Gelegenheit. Es war ihr zwar klar, daß sie
während des Trauerjahres vorsichtig sein mußte, denn allzu
leicht konnte eine frisch zur Witwe gewordene Frau in Verruf geraten.
Aber großes Kopfzerbrechen bereitete ihr dieser Umstand nicht.
Schließlich gab es die Verschwiegenheit ihrer Kemenate - und
was die Leute nicht sahen und nicht hörten, darüber konnten
sie sich nicht das Maul zerreißen. Diesmal, so hatte sie sich
vorgenommen, würde sie Dietrich dazu bringen, ihr völlig zu
verfallen...
Von
solchen Verführungsplänen, wie sie im gelockten Kopf Idas
spukten, ahnte der junge Ritter allerdings nichts. Er tappte seit dem
Gerichtsprozeß hinsichtlich ihrer Beziehung sowieso im dunkeln,
denn danach hatte er sie nur noch selten zu Gesicht bekommen, und
eine Gelegenheit, mit ihr allein zu sprechen, hatte sich nicht
ergeben. So fragte er sich mitunter, ob er mit seinen
Annäherungsversuchen wieder ganz von vorne beginnen müsse.
Er beschloß im stillen, in passenden Augenblicken zunächst
die vorhandenen Anknüpfungspunkte zu erneuern. Dann würde
man weitersehen!
"Wie
ist es, Dietrich - brauchen wir noch mehr Leute zur Sicherung der
Burg?"
Der
junge Ritter schrak zusammen. Ida hatte die Frage an ihn gerichtet
und sah ihn mit ihren dunklen Augen forschend an. Er brauchte einen
Moment, um sich zu sammeln und seinen verliebten Sinn wieder auf die
harte Gegenwart zu richten.
"Äh...nein.
Wozu auch?"
"Wozu?"
wiederholte Ida seine Frage in gedehntem Ton. "Ja, glaubt Ihr
denn nicht, daß die Slawen auch hier herauf kommen?"
Endlich
hatte er sich gefangen. "Laßt sie kommen. An unserer Feste
beißen sie sich die Zähne aus."
Ihre
Augen glitzerten jetzt, und er sah, daß sie ihn spöttisch
betrachtete. "Also hört, so einfach erscheint mir als
schwachem und in Kriegskünsten unwissendem Weib die Lage nicht -
besonders, wenn ich an die jüngste Vergangenheit zurückdenke!
War es nicht so, daß unsere Ritter sich an den Slawen die Zähne
ausgebissen haben?"
Oho,
das war eine scharfe Spitze! Wollte sie ihn kränken? Er war sich
nicht sicher. Verlegen rieb er sich die Nase, während sie ihren
Spott mit ihm trieb, indem sie ihn unverwandt ansah.
"Nun
ja, Gräfin", antwortete er scheinbar gelassen. "So sah
es zwar aus, aber vergeßt nicht, welch gewaltiger Übermacht
wir gegenüberstanden."
"Das
mag wohl sein. Aber, verzeiht mir die dumme Frage, versteht man unter
Kriegskunst nicht die Fähigkeit, auch aus wenig aussichtsreicher
Lage Vorteile zu erlangen?"
Jetzt
wurde ihm klar, daß ihr daran lag, ihn herauszufordern.
Vielleicht, dachte er, hatte sie heute einen ihrer Tage, an denen sie
ihr Mütchen an irgend jemandem kühlen mußte! Er
fühlte, wie der Ärger in ihm hochkroch. Für solch ein
Spielchen sollte sie sich lieber einen anderen aussuchen!
"Zunächst
einmal, laßt Euch gesagt sein, Gräfin, daß bereits
die Planung der Verteidigung falsch angepackt wurde. Schließlich
war es Herzog Berthold, der bestimmte, daß ein Dreigespann die
Befehlsgewalt über das zu erstellende Heer haben sollte."
"Das
weiß ich. Urban, Ihr und mein Gemahl wart die Auserwählten.
Und das soll der Grund für die Niederlage gewesen sein?"
"Wenn
die Führung nicht an einem Strang, sondern nach verschiedenen
Richtungen zieht, dann kann daraus nichts Rechtes werden."
"Aha,
dann wart ihr euch also uneinig!"
"Natürlich
waren wir uns nicht einig. Urban handelte daraufhin eigenmächtig
und beging mehrere taktische Fehler, die in der Summe das Heer
schwächten. Und wo die Zuversicht schwindet, ist die Niederlage
nicht weit."
"Ich
weiß, daß man allgemein Urban von Geroldseck die Schuld
an der Katastrophe gibt. Aber warum habt ihr beiden anderen denn
nicht eingegriffen?"
Dietrich
zog ungeduldig Augenbrauen und Mundwinkel hoch, als hätte Ida
eine dumme Frage gestellt. Ihren mißbilligenden Blick, mit dem
sie ihn wegen dieser Grimasse bedachte, übersah er
geflissentlich. Er fragte sich nämlich, wieso er sich in dieser
Stunde ihr gegenüber für etwas rechtfertigen sollte, das er
nicht zu verantworten
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