Die Klinge des Löwen 03
Danach könnt Ihr sticheln, so viel Ihr
wollt, wenn Euch solch kindisches Verhalten ein Bedürfnis ist.
Aber jetzt müssen wir uns um das Naheliegende kümmern. Da
draußen halten sich zahlreiche Menschen auf, die vor dem
anrückenden Feind Zuflucht in unserem Gebiet suchen. Ihnen
müssen wir einen Platz zuweisen, wo sie uns nicht im Wege sind,
wenn es zum Kampf kommt."
"Der Meinung
bin ich auch", sagte Graf Max und nickte Dietrich beifällig
zu. "Einen Teil von ihnen kann ich auf der Ortenburg aufnehmen.
Es wird dann zwar eng dort, aber vorübergehend dürfte es
möglich sein."
"Wenn Ihr die
Hungerleider erst innerhalb Eurer Mauern habt, werdet Ihr sie so
schnell nicht mehr los!" spottete Urban.
"Ihr würdet
besser daran tun, meinem Beispiel zu folgen", entgegnete Max.
"Oder habt Ihr vergessen, daß Eure Ritterehre Euch auch
zum Schutz der eigenen Bevölkerung verpflichtet?"
Graf Urban runzelte
die Stirn. "Eigene Bevölkerung? Ich höre wohl nicht
richtig! Die kommen doch alle von jenseits meiner Grafschaft.
Allenfalls lebt ein Teil von ihnen innerhalb Eurer Grenzen!
Was habe ich damit zu schaffen?"
"Das will ich
Euch sagen", entgegnete Max betont ruhig, um den Streit nicht
ausufern zu lassen. "Wir werden von einem Feind bedroht, der
darauf aus ist, die gesamte Mortenau und wohl noch mehr zu
unterwerfen. Was sollen da solche kleinlichen Rechnungen mit
Grafschaftsgrenzen? Die Mortenau ist in Gefahr - nicht bloß
Eure Geroldseck! Und wir als vom Herzog ernannte Führer haben
uns um die Menschen der Gesamtregion zu kümmern, merkt Euch
das!"
Der Geroldsecker
erkannte, daß er zu weit gegangen war und Gefahr lief, an
Ansehen auch bei den Kriegsknechten zu verlieren, da sich einige in
nächster Nähe befanden und die Auseinandersetzung mit
anhörten. Er beeilte sich daher, zu beschwichtigen und gegenüber
den unliebsamen Zuhörern unter dem Kriegsvolk den Anschein zu
erwecken, als wäre er derselben Meinung wie seine beiden
Kontrahenten.
"Schon gut,
Graf. Ich sehe ein, daß wir die Flüchtlinge irgendwie aus
der Stoßrichtung des zu erwartenden Angriffs herausführen
müssen. Am besten, Ihr beauftragt Dietrich damit."
Damit drehte er sich
um und verschwand wieder in seinem Zelt. Niemand sah sein höhnisches
Grinsen, das die Befriedigung darüber ausdrückte, wie er
sich aus der Affäre gezogen hatte. Sollten die beiden Schafsköpfe doch zusehen, wie
sie mit dem unnützen Flüchtlingsschwarm fertig wurden, der
da in die Region hereindrängte! So weit kam es noch, daß
er einen Teil davon auf seiner Burg aufnähme! Er hatte
Wichtigeres zu tun - und Max von Ortenburg sollte sich vorsehen.
Sobald die Schlacht gegen die Slawen geschlagen und deren Heer
vernichtet war, würde er sich den Ortenburger vorknöpfen!
*
Während Graf
Urban sich solcherart mit finsteren Zukunftsplänen gegen seinen
vermeintlichen Widersacher beschäftigte, ging letzterer mit
Dietrich etwas abseits, um mit ihm die Maßnahmen zu besprechen,
die zu treffen waren, um das Flüchtlingsproblem aus der Welt zu
schaffen.
Der junge Ritter
hielt nicht viel von der Absicht seines Lehnsherrn, einen Teil der
Leute auf der Burg aufzunehmen. "Wenn ich mir vorstelle, daß
die vielen Menschen samt ihren Karren, Habseligkeiten und Tieren auf
der Ortenburg einziehen, dann frage ich mich, wie wir im Notfall die
Burg verteidigen sollen."
Graf Max sah den
jungen Ritter verwundert an. "Woran denkst du?"
"Um ehrlich zu
sein, ich glaube nicht, daß wir dem Feind in offener
Feldschlacht standhalten können. Die Übermacht ist zu groß,
und die kriegsgewohnten Slawen werden mit ihrem Reiterheer in unsere
Reihen hineinstoßen wie der Habicht in die Hühnerschar."
"Das ist keine
sehr schmeichelhafte Beschreibung unserer eigenen Kriegstüchtigkeit!"
"Es ist die
Wahrheit. Wir sind gegen einen solchen Gegner nicht stark genug. Und
deshalb denke ich, daß der Moment kommen wird, wo wir uns auf
die Burg zurückziehen müssen. Aber wie sollen wir uns und
die Feste verteidigen, wenn wir auf Schritt und Tritt von zahllosen
Menschen behindert werden, die dort Zuflucht gesucht haben, aber vom
Waffenhandwerk nichts verstehen?"
Graf Max sah
nachdenklich vor sich hin. Nach einer Weile fragte er: "Was also
gedenkst du zu tun?"
"Ich führe
den Flüchtlingszug auf mein früheres Lehnsgebiet. Dort sind
die Menschen aus der unmittelbaren Gefahrenzone heraus. Und noch
etwas: sie können sich nützlich machen, indem sie für
die Verköstigung unserer Kriegsleute sorgen, die
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