Die Klinge des Löwen 03
Nuß zu knacken gegeben!“
Dietrich
gab darauf keine Antwort, sondern schickte sich an, den Torturm
wieder zu verlassen, worauf seine Begleiter ihm eilig folgten.
Während Roland vorauseilte, um den Pfeil mit dem Pergament des
slawischen Herolds zu suchen, bemerkte Dietrich zu den anderen: "Was
die Kerle wirklich wollten, werden wir aus dem Pergament erfahren.
Ich kann es mir aber auch so schon denken. Wahrscheinlich sollen wir
wieder beschwatzt werden, uns auf ihre Seite zu schlagen. Otto von
Braunschweig, in dessen Auftrag sie handeln, braucht nämlich
keine zerstörten Burgen, sondern willfährige Vasallen, die
seinen Zielen dienen. Einige unserer Edlen hat er ja schon auf seine
Seite gezogen. Auch nehme ich stark an, daß sie heute
herausfinden wollten, ob wir angesichts der bedrohlichen Lage
unverändert zu unserem König halten. Nichts von all dem
haben sie erfahren. Da sind jetzt für den feindlichen Heerführer
Unwägbarkeiten entstanden, die sich zumindest störend auf
seine Pläne auswirken dürften. Vielleicht verschafft uns
das zeitlich etwas Luft."
Ganz
falsch schien Dietrich mit seiner Vermutung nicht zu liegen. Es sah
tatsächlich so aus, als zögen sich die Streitkräfte
des Feindes zurück. Im Umfeld der Burg war so etwas wie eine
gespannte Ruhe eingekehrt. Das hielt aber Dietrich nicht davon ab,
zusätzliche Kriegsknechte in den Wachdienst einzubeziehen, denn
er traute dem Frieden nicht. Auch der Inhalt des Pergaments, das der
Pfeil in den Zwinger getragen hatte, wo er verloren im Gras steckte,
veranlaßte Dietrich zu sorgfältiger Kriegsvorbereitung:
der knappe Text forderte den Burgherrn auf, sich unverzüglich
auf die Seite des Nordkönigs Otto von Braunschweig zu schlagen,
andernfalls werde Blut und Verderben über die Burg und alle ihre
Bewohner kommen.
Etwa
eine Woche lang tat sich nichts. Die Spannung innerhalb der Ortenburg
begann sich zu lösen, die Sorge um Leib und Leben wich
allmählich aus den Gesichtern der Bewohner, und die Wächter
lehnten müßig und gelangweilt hinter den Zinnen. Der weite
Platz vor dem Burgtor, auf dem einsam die Gerichtslinde im Wind
rauschte, lag leer und verlassen. Nur im Hintergrund, dort wo das
Gelände mit schütterem Laubwald bedeckt war und schräg
zu der im Tal verlaufenden Heerstraße abfiel, waren manchmal
schwache Geräusche zu hören, denen aber in der Burg niemand
Bedeutung beimaß. Und da der Wind in diesen Tagen meistens
sowieso aus Südwest kam und den Klang schlagender Äxte
verwehte, kam kein Mensch auf den Gedanken, einmal nachzusehen, was
es mit den eigenartigen Lauten auf sich habe. Alle Burgbewohner
gingen unbekümmert um das, was sich draußen in der Welt
tat, ihrer Arbeit nach. Die Mauern, die sie umgaben, vermittelten
ihnen ein Gefühl unbedingter Sicherheit, und das war ihnen
genug.
Das
änderte sich, als an einem Sonntag im Juli das zweifach
wiederholte Hornsignal der Torwache die Menschen im Morgengrauen aus
dem Schlaf riß. Dietrich, der ohnehin schon wach in seiner
Kammer lag, fuhr vom Lager empor, warf die Decke von sich und sprang
auf. Hastig kleidete er sich an, trat, mit Dolch und Schwert
gegürtet, aus seiner Kammer, stieß im Korridor auf den
oberflächlich bekleideten Ullenburger und verließ zusammen
mit ihm in Eile den Palas. Auch Giselbert stürzte bereits mit
ein paar Mannen aus der Unterkunft. Gemeinsam strebten sie im
Laufschritt durch das Südtor und den Zwinger entlang zum Turm
des Nordtores. Von dort kam ihnen bereits einer der Wächter in
heller Aufregung entgegen.
"Herr",
schrie er schon von weitem, "eine große Streitmacht zieht
vor der Burg auf!"
Dietrich
rief ihm im Laufen zu: "Wir wollen uns ansehen, was sie
vorhaben!"
Im
Obergeschoß der Torhalle traten zwei weitere Wächter
beflissen zur Seite, um Dietrich den Zutritt zu einer der beiden
Schießscharten freizugeben. Er bückte sich und spähte
durch den Mauerschlitz. Draußen war es inzwischen heller
geworden, so daß man Einzelheiten erkennen konnte.
"Sieh
an, sie kommen mit einem Rammbock!" sagte er grimmig. "Ich
zähle zehn Ochsen, die davorgespannt sind. Aber wie haben sie
mit dem Ungetüm die bewaldete Steigung überwunden?"
"Wahrscheinlich
sind sie mitten in der Nacht aufgebrochen", meinte Giselbert,
der die andere Mauerscharte besetzt hatte.
"Das
glaube ich nicht", entgegnete Dietrich. "Es ist unmöglich,
das Riesending zwischen den Bäumen hindurchzubringen. Die stehen
viel zu dicht, um mit einem solchen Gefährt
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