Die Klinge des Löwen 03
einheizen, wenn sie unter der Mauer sind?" In
Giselberts Augen blitzte schon wieder die Kampfeslust auf, die
geschwind seine Verlegenheit ablöste.
"Nein,
laßt sie in Frieden", sagte Dietrich. " Gehen wir ins
Torhaus und hören uns an, was sie wollen."
Sie
eilten zur Halle des Nordtores, das geschlossen und mit Querbalken
gesichert war. Einen zusätzlichen Schutz bildete die
hochgezogene Brücke. Die Männer stiegen über eine
schmale Holztreppe in das obere Stockwerk. Dietrich schob den
Kriegsmann, der zum Wachdienst eingeteilt war, beiseite, so daß
er und Giselbert die beiden Schießscharten besetzen konnten,
von denen aus man den Platz vor dem Tor einsehen konnte. Die anderen
drängten sich um ihren Hauptmann, um möglichst auch etwas
von dem mitzubekommen, was sich wohl gleich abspielen würde.
Inzwischen
war Hufschlag zu hören, und kurz darauf tauchten vier Reiter in
voller Rüstung im Blickfeld der Wartenden auf. Die Slawen ritten
bis hart an den Burggraben heran, einer von ihnen setzte ein Horn an
den Mund und ließ mehrmals ein eintöniges Signal
erschallen. Auf der linken Seite des Bläsers verhielt ein
Krieger, der Bogen und Pfeilköcher auf dem Rücken trug,
sein Roß. Der Reiter neben ihm war in einen gelben Waffenrock
gekleidet und hatte seinen Kopf durch einen dunklen Eisenhelm mit
heruntergezogenem Nasenschutz geschirmt. Trotzdem erkannte Dietrich
in ihm den Herold, den er schon einmal abgewiesen hatte. Er sah, wie
dieser unruhig im Sattel hin und her rutschte und anscheinend darauf
wartete, daß man ihn anrufe.
Dietrich
flüsterte den anderen zu: "Verhaltet Euch ruhig! Keiner
sagt einen Ton, verstanden?"
Giselbert
gab mit der Hand ein bejahendes Zeichen, und schweigend warteten
alle, was da draußen vor ihren Augen wohl ablaufen mochte. Sie
sahen, daß der Gelbgekleidete dem Hornträger zuwinkte,
erneut zu blasen. Roland kicherte verhalten, beherrschte sich jedoch,
als Dietrich ihm einen zornigen Blick zuwarf.
"Heda,
Wächter", schrie draußen plötzlich der den
Herold spielende Feinel, dem der Geduldsfaden zu reißen schien.
"Schlaft ihr da drin oder seid ihr betrunken? Schafft mir euren
Herrn herbei, aber schnell, wenn ich bitten darf!"
Die
Lauschenden im Innern des Torhauses verhielten sich
mucksmäuschenstill. Sie hörten, wie draußen, unweit
des Tores, ein leichter Wind in den Blättern der Gerichtslinde
wisperte. Dietrich horchte angestrengt, was der Mann in Gelb jetzt
mit seinen Begleitern redete, aber er verstand nichts, da jener sich
mit ihnen in ihrer Sprache verständigte. Abermals gab der Herold
dem Hornisten ein Zeichen, und erneut erschallte das Hornsignal.
Als
wiederum alles ruhig blieb, schrie Feinel: "Tod und Teufel! Hat
die Pest diese Burg heimgesucht?"
Er
zog wütend eine Pergamentrolle aus einer hellbraunen
Ledertasche, die er umhängen hatte, und reichte sie dem Reiter
mit dem Bogen. Die Männer im Inneren des Torhauses sahen
gespannt zu, wie dieser schweigend einen Pfeil aus dem Köcher
zog, das Pergament um dessen Schaft wickelte und es mit einem roten
Band befestigte. Er löste den Bogen vom Rücken, legte den
Pfeil auf die Sehne, zeigte mit ihm steil nach oben, indem er
gleichzeitig die Sehne spannte, und ließ ihn schwirren.
Dietrich hörte, wie das schlanke Geschoß mit leisem
Pfeifton über das Dach der Torhalle stieg, und stellte sich vor,
wie es samt der Botschaft irgendwo im Zwinger niederging. Darum würde
er sich jedoch später kümmern. Er betrachtete mit
forschendem Blick die Slawen, deren zornige Rufe und heftiges
Gestikulieren ihren Ärger ausdrückten, womöglich
unverrichteter Dinge wieder abziehen zu müssen.
Nach
geraumer Weile schien es dem Herold klar geworden zu sein, daß
er an diesem Tag tatsächlich kein Gehör finden würde.
Unwirsch gab er das Zeichen zum Abzug. Nachdem der Hufschlag
verklungen war, wandte Giselbert sich an Dietrich: "Warum habt
Ihr geschwiegen?"
"Ich
wollte die Kerle unsicher machen", sagte Dietrich, der sich
inzwischen aufgerichtet hatte und seine Glieder streckte, "und
das scheint mir gelungen zu sein. Sie wissen jetzt nicht, woran sie
mit uns sind. Solche Unsicherheit kann die Kampfmoral untergraben,
und falls sie planen, demnächst unsere Burg zu berennen, dann
wissen sie jetzt nicht, wie stark unsere Verteidigung ist!"
„ Ah,
das ist eine gute Kriegslist“, sagte Giselbert respektvoll.
„Die Kerle müssen nun raten, wie viele Mannen und welches
Gerät sie einsetzen sollen. Bei Gott, da habt Ihr ihnen eine
harte
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