Die Klinge: Roman (German Edition)
Schulter getippt und gesagt hätte: ›Entschuldigung, aber mir sind deine verträumten Augen aufgefallen.‹«
»Oh, köstlich!«, stieß Meg hervor. »Das wäre köstlich gewesen!«
Als er von dem Spiel nach Hause kam, mixte sich Ian einen Wodka-Gimlet und setzte sich auf einen Klappstuhl am Pool. Die Sonne wurde von den Palmen abgehalten. Eine kühle Brise kräuselte das Wasser, und er bekam Gänsehaut an den nackten Armen.
Es roch nicht nach brennendem Laub.
10 DIE MITFAHRGELEGENHEIT
»Du hast noch dein ganzes Leben Zeit, dir die Welt anzugucken, Billy. Dein ganzes Leben.« Der dürre alte Mann schob mit der Zunge den Zigarrenstummel auf die andere Seite des Mundes. Die glühende Spitze wackelte, und ein Zentimeter Asche fiel auf seinen Schoß. Er schien es nicht zu bemerken. »Hör auf einen Mann, der sich damit auskennt«, fuhr er fort. »Nicht dass es mir schlecht ergangen wäre, so ist es nicht. Aber ich bin niemand, der sich was vormacht. Ich bin ein Mann, der es um einiges leichter gehabt hätte, wenn er einen Abschluss gemacht hätte.«
»Sie meinen, aus Ihnen hätte was werden können?«, fragte Albert.
»Hm?«
»Sie wissen schon. Das hat doch der Exboxer in Die Faust im Nacken gesagt.«
»Ja, kann sein.«
Albert blickte durch die gesprungene Scheibe auf der Beifahrerseite. Die Telefonmasten zeichneten sich deutlich in der Nacht von Illinois ab, aber die Maisfelder dahinter konnte er kaum erkennen. Sie waren flach und leer und dunkel.
»Wenn ich in deiner Haut stecken würde, Billy, würde ich auf Nummer sicher gehen und meinen Abschluss machen. Ich würde sagen: ›Danke fürs Mitnehmen, Milton, aber Sie lassen mich besser hier raus.‹ Dann würde ich mich sputen, nach Hause zu kommen.«
Das hatte Albert heute Morgen getan, ehe die Dämmerung hereinbrach: Er hatte sich gesputet, nach Hause zu kommen, nachdem er mit Mrs. Broxton fertig war.
Er war die Treppe heruntergerannt und aus der Haustür gestürmt. Sein Fahrrad hatte noch auf dem Rasen des Nachbarn gelegen, wo er es fallen gelassen hatte. Er packte den Lenker und schwang es so rasant über die Bordsteinkante, dass es ihm beinahe aus den Händen flog. Dann trat er in die Pedale. Was für ein Wind! Der Wind blies gegen die blutige Vorderseite seines Rollkragenpullovers und ließ ihn frösteln.
Er hätte sich umziehen sollen, ehe er das Haus der Broxtons verließ. Sich von dem Vater oder dem Sohn etwas borgen sollen. Dann hätte er sich nicht so beeilen müssen, nach Hause zu kommen. Aber die Idee kam ihm zu spät. Da hatte er schon den halben Heimweg hinter sich gebracht und konnte sich nicht überwinden, umzukehren.
Er versteckte das Fahrrad im Gebüsch neben dem Haus seines Vaters und ging in die Garage. Dort war es warm und stickig und viel dunkler als draußen. Als er sich auszog, ging sein Atem stoßweise. Nur in Boxershorts rollte er seine Klamotten zu einem festen Ball zusammen und stopfte sie in einen Kleidersack neben der Werkbank. Der Sack war schon voller alter Lumpen. Er zog ein paar davon heraus und legte sie obenauf, um seine befleckten Kleider zu bedecken, dann verschloss er den Sack mit einer Klammer.
Um etwas Licht in die Garage zu lassen, öffnete er die Seitentür. Es war immer noch ziemlich dunkel, aber zumindest konnte er die ungleichmäßigen Schattierungen auf seiner Brust und seinem Bauch erkennen. Das musste Blut sein.
»Also?«, fragte Milton und riss Albert aus seinen Gedanken.
»Was?«
»Meinst du nicht, ich sollte dich besser rauslassen, damit du nach Hause fahren und die Schule abschließen kannst?«
»Ich will lieber bei Ihnen bleiben.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich kann nicht zurück nach Hause. Niemals. Egal, was passiert.«
»Hattest du Ärger mit deinen Eltern?«
»Ich wohne nur bei meinem Vater«, sagte Albert. »Er ist ein Trinker. Und verrückt. Er rast durchs Haus, weil er glaubt, der Todesengel wäre hinter ihm her, und er verprügelt mich ständig.«
»Das klingt nicht so gut«, gab Milton zu.
»Er hat mich sogar im Geräteschuppen hinter dem Haus eingesperrt. Ich war zwei Wochen da drin und wäre beinahe verhungert, aber dann konnte ich mich durch den Boden wühlen und entkommen.«
»Stimmt das?«
»Ja«, sagte Albert.
»Wenn das wirklich stimmt, dann solltest du deinen Alten anzeigen.«
»Er hat gesagt, er würde mich umbringen, wenn ich es jemandem verrate. Ich hätte es auch Ihnen nicht erzählen sollen. Sie werden es doch nicht weitersagen?«
»Tja, ich glaub
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