Die Klinge: Roman (German Edition)
diese Weise könnte er dort ein paar Tage verbringen, ohne sich sorgen zu müssen, dass jemand auf der Arbeit oder in der Schule vermisst wurde.
Heute ist Freitag!
Und Albert wusste genau, bei welchem Haus er zuschlagen würde.
Er hatte sogar den Schlüssel.
May Beth hatte ihm erzählt, dass sie bei ihrer Mutter wohnte. Vielleicht würde die Mutter dort sein. Falls sie nur halb so gut aussah wie May Beth, könnte er mit ihr ziemlich viel Spaß haben.
Albert wickelte ein dünnes Stück Seife aus und wusch sich das Gesicht.
45 ZURÜCK NACH HAUSE
»Blessed Virgin College. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Rhonda, hier ist Lester.«
»Bist du immer noch unpässlich?« Ihre Stimme klang mitfühlend.
»Leider ja.«
»Okay, ich rufe Schwester Martha an, wenn sie kommt, und sage ihr Bescheid.«
»Gut. Danke.«
»Schone dich und werde gesund, Lester.«
»Okay. Danke noch mal. Tschüss.«
Er sah auf den Wecker neben Emily Jeans Bett. Fast halb acht. Zu früh, um aufzubrechen.
Er trat durch den Flur ins Bad und stieg unter die Dusche. Lange blieb er unter dem heißen Strahl stehen. Als er fertig war, zog er sich an und ging nach unten. Er setzte Kaffee auf. Während er durchlief, briet Lester Speck und Eier. Er aß im Wohnzimmer und sah sich dabei eine Zeichentrickserie im Fernsehen an.
Um kurz vor neun ging er hinaus zu seinem Auto.
Auf dem Weg nach Hause begannen sich seine Eingeweide zu verkrampfen.
Was, wenn Helen da ist?
Sie wird nicht da sein.
Ehe er das Haus betrat, sah er in der Garage nach. Leer. Die Krämpfe ließen etwas nach.
Ziemlich überzeugt, dass Helen in der Schule war, ging er ins Haus. Er holte zwei große Koffer aus einem Wandschrank. Es sollten genug Sachen für die ein oder zwei Wochen hineinpassen, bis er eine Wohnung gefunden hatte.
Vielleicht würde er gar keine Wohnung brauchen.
Vielleicht könnte er bei Emily Jean wohnen.
Würde sie mich lassen?
Vielleicht. Er vermutete, dass sie sich in ihn verliebt hatte.
Wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte.
Er trug die Koffer ins Schlafzimmer. Anstatt seine Sachen einzupacken, ließ er sie auf den Boden fallen und setzte sich auf die Bettkante.
Er starrte die Wand an und fragte sich, ob er wirklich bei Emily Jean wohnen wollte.
Selbst, wenn sie mich liebt, würde ich bei jemandem festsitzen, der doppelt so alt wie ich … und ein bisschen seltsam ist.
Sehr seltsam, so zu tun, als wäre sie May Beth.
May Beth!
Falls ich bei Emily Jean wohne, wäre May Beth wahrscheinlich auch dort.
Wenn sie überlebt.
Wenn sie überlebt, wird sie nach Hause kommen und dort wohnen. Wir wären zu dritt …
Lester stellte sich vor, wie er mit den beiden im Bett lag, der Mutter und der Tochter, beide nackt und schlank und willig, beide küssten ihn, streichelten ihn, lutschten ihn, die eine so jung und schön und fest und glatt, die andere so verzweifelt und eigenartig.
Das wird nie geschehen.
Falls May Beth nach Hause kommt, dachte er, werde ich rausgeworfen.
Emily Jean hat nicht vor, mich mit ihrer Hauptrivalin im selben Haus wohnen zu lassen.
Ich kann nur bei Emily Jean bleiben, wenn das Mädchen nicht durchkommt.
Ich wünsche mir ganz sicher nicht, dass das passiert, sagte er sich. Es würde Emily Jean völlig zugrunde richten …
Und ich hätte keine Chance mehr …
WAS IST NUR LOS MIT MIR? Ich kenne das Mädchen kaum. Sie würde mich wahrscheinlich nicht mal MÖGEN und schon gar nicht …
Falls sie stirbt, dachte Lester, würde ich Emily Jean möglicherweise gar nicht mehr wollen.
Was hatte das alles zu bedeuten?
Er wollte nicht darüber nachdenken.
Plötzlich wollte er sich nur noch aufs Bett werfen und nicht mehr aufstehen.
Nie mehr aufstehen.
Aber früher oder später würde er aufstehen müssen. Wenn er bis zum Nachmittag blieb, würde Helen wahrscheinlich nach Hause kommen.
Er wollte ihr nicht gegenübertreten.
Er wollte niemandem gegenübertreten.
Ich sollte der Welt einen Gefallen tun und mir eine Kugel in den Kopf jagen, dachte er.
Helen hasst mich wie die Pest. Emily Jean ist eine bedauernswerte Gestalt. Bei May Beth habe ich keine Chance. Ich werde niemals eine Chance bei einer Frau haben, die ich will.
War es von Groucho Marx?
Ich würde keinem Club angehören wollen, der bereit wäre, jemanden wie mich als Mitglied aufzunehmen.
So in der Art, dachte Lester.
Die Geschichte meines Lebens.
In der zweiten Schublade seiner Kommode fand er seine Ruger Kaliber .22. Er löste den Halteriemen und zog den
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