Die Klinge: Roman (German Edition)
Schlampe.
Kopfschüttelnd wandte Ian sich ab und sah Dale allein in der Nähe der Tür sitzen. Er ging zu ihr.
»Ich weiß nicht, wie sie es mit ihm aushält«, sagte sie zu Ian. »Unausstehlicher … Rotzbengel. Er ist ein Rotzbengel. Ein feiger, jammernder Rotzbengel.«
»Lester?«
Dale grinste. »Wer sonst?«
»Ah. Tja, vielleicht hat er seine Gründe.«
»So ein Benehmen erwartet man vielleicht von einem Kind im Klassenzimmer, aber, mein Gott, Ian, von einem Erwachsenen?«
»Hast du Janet irgendwo gesehen?«
»Janet? Sie muss irgendwo hier sein. Sie gehört bestimmt nicht zu den Leuten, die sich davonschleichen. Außerdem war ich die ganze Zeit an der Tür. Ich komme einfach nicht über den Typen hinweg.«
Mir tut das arme Schwein leid, dachte Ian.
Aber er sagte nichts, weil er wusste, dass Dale so eine Bemerkung nicht zu schätzen wüsste – und vermutlich auch sonst niemand aus der Lehrerschaft. Sie alle hielten Helen für eine begabte Lehrerin, die mit einem Mann verheiratet war, der nichts auf die Reihe bekam.
»Ich glaube, ich sehe mal nach Janet«, sagte Ian.
»Vielleicht ist sie im Bad.«
»Danke.«
»Hey, Leute!«
Ian wandte ruckartig den Kopf zum Flur. Susan Par sons kam angerannt, wobei der Pappkamin um ihren Ober körper hüpfte.
»Jemand muss helfen! Ein Kampf! Im Schlafzimmer!« Sie schwenkte einen Arm nach hinten und zeigte den Gang entlang.
Ian lief los. Susan versperrte ihm den Weg. Er drehte die Schultern zur Seite, um zwischen ihr und der Wand hindurchzuspringen, ohne sie umzuwerfen. Dann war er im Schlafzimmer.
Janet lag auf dem Boden, streckte die Arme nach oben und versuchte, die Schläge der halb nackten Frau abzuwehren, die auf ihrer Hüfte saß. Wirres Haar verdeckte das Gesicht der Frau, doch Ian wusste, dass es Mary sein musste. Ihr Nachthemd war an einer Seite von der Schulter gerissen worden. Eine Brust war aus dem BH gesprun gen und wogte hin und her, während sie die Fäuste schwang.
Ian packte einen der rot befleckten Arme und drehte ihn ihr auf den Rücken. Mithilfe des Hebels zwang er sie, aufzustehen.
»Jemand soll sie festhalten«, brüllte er und stieß sie weg.
Ronald Harvey trat mit hochgeklapptem Visier und entsetztem Gesichtsausdruck aus der Gruppe an der Tür nach vorne.
Marys entblößte Brust hüpfte, als sie zu ihm rannte. Sie schlang die Arme um ihn und rief: »Bring mich nach Hause! Bring mich sofort nach Hause! Es ist alles deine Schuld. Du hättest mich nicht wegen dieser dürren Schlampe abservieren sollen!«
Ian zog seine Maske ab. Er wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und kniete sich neben Janet. Sie lag weinend auf dem Rücken.
»Raus hier!«, schnauzte er über die Schulter. »Alle raus!«
Einige Leute wandten sich ab. Andere blieben stehen und spähten durch den Türrahmen herein. Ian sprang auf, lief zur Tür und schloss sie. Dann kehrte er zu Janet zurück.
Ihre Wange war aufgekratzt und blutig. Nase und Lippen bluteten ebenfalls. Sie schniefte.
»Du«, sagte sie.
»Ich?«
»Der Typ aus dem Footballstadion.« Sie schniefte erneut und leckte sich Blut von der Oberlippe. Dann lächelte sie.
58 SHOWDOWN
Lester klopfte leicht an die Schlafzimmertür.
»Wer ist da?« Die Stimme klang verärgert.
Lester antwortete nicht. Er öffnete die Tür, zog Helen am Ellbogen herein und warf noch einen Blick den Flur entlang. Niemand schien ihn zu beachten. Er schloss die Tür.
Ian kam mit einem tropfenden Waschlappen in der Hand aus dem Bad. Er sah kurz zu Helen und Lester, dann beugte er sich über das Mädchen.
»Ich muss ein paar Worte mit dir reden«, sagte Lester.
»Schön.« Ian blickte nicht auf. Er fuhr fort, dem Mädchen Blut aus dem Gesicht zu wischen.
»Sieh mich an, wenn ich mit dir spreche!«
»Ich bin gerade beschäftigt, Lester. Warum reden wir nicht ein anderes Mal?«
»Ian«, sagte Helen, »du solltest ihm lieber zuhören. Er hat einen Revolver. Er will dich erschießen.«
Dieses Mal blickte Ian auf.
Lester zog die Waffe aus dem Holster und richtete sie auf Ians Gesicht.
»Was zum Teufel ist los?«, fragte Ian.
»Er weiß über uns beide Bescheid«, sagte Helen.
»Über uns beide?«
»Er weiß alles. Es tut mir leid, Ian. Ich … ich habe es ihm gestern Nacht gesagt. Ich war wütend und aufgeregt, da hab ich es ihm gesagt.«
Ian begann, sich mit ruhigem Gesicht und festem Blick aufzurichten.
Lester spürte, wie sein Magen sich vor Angst zusammenzog. »Bleib unten!« Er spannte mit dem Daumen den
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