Die Klinge
sein. Was meinen Sie, was drin gewesen sein könnte?«
»Benzin«, antwortete Jed, ohne lange zu überlegen.
»Und was passiert Ihrer Meinung nach, wenn man den Inhalt dieses Kanisters im Erdgeschoss des Sanatoriums ausschüttet und anzündet?«
»Dann geht die ganze Bude in Flammen auf. Übrigens hatte das Sanatorium einen Keller - oder besser gesagt, eine Art Souterrain -, in dem alle Unterlagen aufbewahrt wurden.«
»Was für Unterlagen?«
»Unter anderem auch die Patientenkartei mit detaillierten Aufzeichnungen über alle Leute, die jemals in diesem Sanatorium waren.«
Paula war vorsichtig an eine der noch intakten Mauern herangetreten und blickte dahinter. Jed hatte Recht. Da unten lag ein weitläufiger Keller mit kleinen Bogenfenstern, dessen Decke komplett eingestürzt war.
»Genau danach habe ich gesucht. Jemand wollte wohl die Unterlagen vernichten und hat deshalb das Gebäude in Brand gesteckt. Da liegt übrigens noch jede Menge verbranntes Zeug am Boden«, sagte Paula, nachdem sie mit ihrer Taschenlampe in den Schutt geleuchtet hatte.
Vorsichtig stieg sie hinunter und holte einen Fetzen Papier herauf, der an den Rändern angesengt war.
»Wissen Sie, was das ist?«, fragte sie Jed, der sich das Papier im Licht seiner Taschenlampe ansah.
»Das ist ein Teil von einer Patientenkarte«, antwortete er. »Ich kann gerade noch Bryans Unterschrift erkennen. Millie,
die Putzfrau des Sanatoriums, hat mir einmal eine solche Karte gezeigt - unter der Hand, versteht sich. Eigentlich hätte sie das nicht gedurft.«
»Was steht im Einzelnen auf solchen Patientenkarten?«, fragte Tweed. »Und wer ist dieser Bryan?«
»Sämtliche psychischen Probleme des Patienten, weshalb er eingeliefert wurde, wie er behandelt wurde und so weiter.« Jed schaute gen Himmel, als würde der ihm verraten, was sonst noch auf der Karte gestanden hatte. »Außerdem waren noch Name und Adresse des Patienten verzeichnet, sein Geschlecht und« - er grinste - »wer die gepfefferte Rechnung beglichen hat. Was nun Bryan betrifft, so heißt er eigentlich Dr. Bryan. Er hat zusammen mit seiner Frau das Sanatorium geleitet. Seit dem Brand sind beide verschwunden. Wir haben nach ihnen gesucht, sie aber bisher noch nicht aufspüren können.«
»Wurde bei dem Brand jemand getötet oder verletzt?«
»Nein. Ein paar Tage zuvor waren alle Patienten verlegt und die Angestellten mit einer Abfindung entlassen worden. Sie sind jetzt über das ganze Land verstreut. Von einer Schwester weiß ich, dass sie einen neuen Job in Ohio angenommen hat.«
»Und kurz nach dieser Evakuierung brennt die Anstalt ab«, sagte Tweed nachdenklich. »Seltsamer Zufall.«
»Es ging das Gerücht um, die Bryans hätten genug Geld verdient und vorgehabt, das Sanatorium zu verkaufen. Nach dem Brand allerdings...« Jed machte eine resignierte Handbewegung.
»Gibt es denn hier niemanden mehr, der im Sanatorium gearbeitet hat?«, hakte Tweed nach.
»Nur Millie ist noch da. Sie wohnt zwei Minuten von hier direkt an der Schnellstraße.«
»Haben wir noch Zeit, um mit ihr zu reden? Ich würde ihr gern ein paar Fragen stellen.«
»Klar doch. Dem Fettsack Parrish wird das bestimmt nicht gefallen, der hat den Fall längst zu den Akten gelegt. Vielleicht hat da auch jemand mit Geld nachgeholfen. Aber gehen wir.«
Sie stiegen wieder in den Wagen und fuhren auf der Schnellstraße ein kurzes Stück weiter landeinwärts. Hier bestand die Landschaft aus bewaldeten, sanft ansteigenden Hügeln. Vor einem kleinen Holzhaus rechts der Straße hielt Jed an. Es hatte zwei Stockwerke, die Fensterläden hingen schief in den Angeln, und anstelle einer Veranda gab es lediglich ein hölzernes Geländer mit einer Lücke in der Mitte, durch die man zur Haustür gelangte. Hinter den Fenstern im Erdgeschoss brannte Licht.
»Millie scheint zu Hause zu sein«, sagte Jed. »Seit dem Mord geht sie nach Einbruch der Dunkelheit sowieso nicht mehr aus dem Haus.«
Jed klopfte zweimal an die Tür und rief: »Hallo Millie, ich bin’s, Jed.«
Während sie warteten, überlegte Paula, wie Menschen nur ihr ganzes Leben in einer solchen Wildnis verbringen konnten. Es war bitterkalt. Sie hörte, wie zwei Schlösser aufgesperrt und eine Sicherheitskette ausgehängt wurden. Dann ging die Tür einen Spaltbreit auf. Erst nachdem Jed sein Gesicht gezeigt hatte, wurde die Tür ganz geöffnet.
Aus der Kälte traten sie in ein überheiztes Wohnzimmer, in dem ein munteres Feuer im Kamin prasselte. Während Millie
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