Die Klinge
Roman«, sagte Marienetta leise und sah ihm fest in die Augen. »Deine Stärke war es doch immer, ruhig zu bleiben.«
Ihre Worte hatten eine erstaunliche Wirkung auf Arbogast. Sein Gesicht nahm im Nu wieder einen gelassenen Ausdruck an. Normal und abnormal. Erschüttert musste Paula an Dr. Seales Worte denken.
Arbogast ließ sich langsam auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch nieder. Sein rechtes Auge zuckte noch ein wenig, als er Tweed ansah.
»Eigentlich wollte ich Sie ja aus einem ganz anderen Grund sprechen«, sagte er mit leiser, jetzt wieder angenehmer Stimme. »Untersuchen Sie immer noch diese Morde?«
»Wieso Morde im Plural?«, fragte Tweed.
»Pardon, ich wollte Mord sagen - den Mord an Adam Holgate.«
»Warum fragen Sie mich das?«
»Das will ich Ihnen sagen. Heute früh, kurz nachdem ich in mein Büro kam, stürmte ein gewisser Nathan Morgan von dieser Spezial Branch ins Gebäude und wollte sich zu mir durchkämpfen. Broden musste sogar körperliche Gewalt anwenden, um ihn daran zu hindern. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Morgan hinauszuwerfen.«
»Verstehe.« Tweed hielt einen kurzen Augenblick inne. »Aber es stimmt. Neben einigen anderen Problemen, die mich beschäftigen, habe ich immer noch ein Interesse am Fall Holgate.«
»Gibt es denn schon einen Tatverdächtigen?«
Arbogast hatte seine plumpen Hände gefaltet und auf die Schreibtischplatte gelegt. Er ließ Tweed keine Sekunde aus den Augen.
»Nein, bisher noch nicht. Dazu ist es auch noch viel zu früh, schließlich sind eine Menge Leute in den Fall verwickelt.«
»Könnten Sie mir mitteilen, wenn sich ein Verdächtiger herauskristallisiert?«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt«, erwiderte Tweed und stand auf. »Aber jetzt wollen wir gehen. Sie sind ein viel beschäftigter Mann, und wir haben bereits über Gebühr Ihre wertvolle Zeit in Anspruch genommen...«
Marienetta begleitete sie hinaus auf den Gang. Dort schob sie ihre Magnetkarte in den Schlitz an der Wand und holte den Speziallift für sie herauf.
»Wenn es Ihnen Recht ist, begleite ich Sie nicht nach unten«, sagte sie zu Tweed. »Ich möchte zurück zu Onkel Roman, um mich zu vergewissern, dass er sich auch wirklich beruhigt hat. Sophie macht ihm große Sorgen. Aber nochmals vielen Dank für Ihre Hilfe...«
Als Paula und Tweed nach einer rasanten Abwärtsfahrt das Erdgeschoss erreichten, wartete dort bereits Broden auf sie und geleitete sie bis zur Drehtür. Draußen sahen sie, wie Newman aus dem Café trat und auf dem Gehsteig wartete, bis sein Wagen vorgefahren wurde.
Auf den Stufen zum ACTIL-Gebäude saß eine merkwürdige Gestalt mit einem Klemmbrett in der Hand und beugte sich über ein kompliziert aussehendes Diagram. Es war Dr. Abraham Seale, der wie üblich gekleidet war, als käme er geradewegs aus einem Roman von Charles Dickens spaziert. Als Tweed vorbeiging, blickte er auf.
»Guten Morgen, Mr. Tweed. Eigentlich wollte ich ja Mr. Arbogast ein paar Fragen stellen, habe das dann aber für unklug gehalten. Ich erarbeite nämlich gerade einen Stammbaum der Familie Arbogast. Genealogie ist eines meiner Steckenpferde. Die Arbogasts hießen übrigens ursprünglich Arbogastini. Interessant, was?«
»Kamen sie aus Italien?«
»Richtig.« Er stand auf. »Aber das hier ist nicht der richtige Ort, um meine Forschungen zu betreiben. Möglicherweise ein bisschen zu gefährlich. Ich gehe lieber woanders hin. Auf Wiedersehen, Paula...«
»Eine seltsame Familie, diese Arbogasts«, bemerkte Paula.
»Ich frage mich, wieso Seale sagte, es sei gefährlich hier«, meinte Tweed nachdenklich.
13
»Irgendwie bin ich total nervös«, sagte Paula. »Das kenne ich sonst gar nicht von mir.«
Nach einem kurzen Mittagessen waren sie wieder in Tweeds Büro in der Park Crescent zurückgekehrt. Paula und Tweed waren allein, nur Monica war noch da und saß vor ihrem Computer. Newman war mit Marler losgezogen, »um ein paar Spitzel aufzuscheuchen«, wie Marler sich ausgedrückt hatte. Sie hofften, auf diese Weise vielleicht doch noch ein paar Informationen über den Mord an Holgate zu ergattern.
»Nervös?«, wiederholte Tweed. »Das überrascht mich nicht. Sie haben doch schon immer ausgesprochen sensibel auf Aggression reagiert. Und gerade eben sind wir Zeugen gleich mehrerer dramatischer Gefühlsausbrüche geworden - erst in diesem Fitnessstudio und dann noch in Arbogasts Büro.«
»Ich glaube, daran liegt es nicht. Aber das ist alles nicht so wichtig.« Paula
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