Die Klinge
Windjacke, die auch schon einmal bessere Tage gesehen hatte. Im proletarischen East End ging er ohne weiteres als Einheimischer durch.
Pete Nield, der etwa gleich alt wie Butler war, stellte äußerlich das genaue Gegenteil zu diesem dar. Er war schlank und sah mit seinem exakt gestutzten Oberlippenbärtchen sehr gut aus. Nield war bei den Frauen sehr
beliebt und kleidete sich tadellos und schick, auch wenn er an Marlers stilsichere Eleganz nicht ganz heranreichte. Als er in Tweeds Büro kam, trug er einen schicken blauen Anzug, ein frisches, blaues Hemd und eine blassblaue Krawatte. Da er nur unwesentlich größer als Butler und eher schmächtig gebaut war, hatte schon so mancher Gauner geglaubt, ein leichtes Spiel mit ihm zu haben - eine fatale Fehleinschätzung, die viele von ihnen schmerzlich zu bereuen hatten.
»Wir sollten uns langsam eine gemeinsame Strategie in diesem seltsamen Fall überlegen«, begann Tweed. »Momentan stochern wir noch derart im Nebel...«
Wie auf Bestellung läutete in diesem Augenblick das Telefon. Tweed fluchte leise. Monica stellte George, dem Portier, einige Fragen, ehe sie zu Tweed sagte: »Da unten steht ein Amerikaner, ein gewisser Ed Danvers, der Sie sprechen möchte. Er will aber nicht sagen, warum. Das sei topsecret, meint er.«
»Sagen Sie ihm, er soll wieder gehen.«
»Aber er ist vom FBI. Er hat George seinen Ausweis gezeigt.«
Tweed dachte nach, bevor er antwortete. Paula konnte sehen, wie es in ihm arbeitete.
»Monica, ist dieser Mensch vom FBI allein?« Sie nickte. »Sehr ungewöhnlich. Normalerweise treten sie doch immer paarweise auf. Nun gut, bitten Sie ihn eben herauf.«
Paula blickte zur Tür und wusste genau, was sie gleich zu Gesicht kriegen würde: einen finster dreinblickenden Agenten im grauen Anzug, der Quasi-Uniform aller FBI-Leute. Doch stattdessen kam ein hoch gewachsener Mann mit dichtem, aschblondem Haar herein, der einen hellbeigen Anzug trug. Der Mann war um die dreißig und ziemlich gut aussehend, wie Paula fand. Er hatte eine hohe Stirn, graue Augen unter blonden Augenbrauen, eine markante Nase und einen wohlgeformten Mund. Auf seinem Gesicht lag ein freundliches Lächeln.
»Setzen Sie sich doch, Mr. Danvers«, forderte Tweed ihn in neutralem Ton auf.
»Hi.« Sein Lächeln verfehlte bei keinem der Anwesenden seine Wirkung. Nachdem Monica ihm seinen Regenmantel abgenommen hatte, setzte er sich lässig in einen der Sessel und blickte dann hinüber zu Tweed.
»Sie sind Mr. Tweed, nicht wahr?«
»Der bin ich. Kommen Sie gerade aus den Staaten?«
»Nein, Sir. Ich gehöre zur FBI-Abteilung an unserer hiesigen Botschaft und bin schon seit ungefähr einem halben Jahr hier in London.«
»Und ich dachte, Sie gehören zur Mannschaft des Vizepräsidenten.«
»Ich habe ihm lediglich Ihre schöne Stadt gezeigt, mehr hatte ich bisher nicht mit ihm zu tun.«
»Wieso nicht?«
»Weil Mr. Straub vor zwei Tagen hinüber auf den Kontinent geflogen ist.«
»Wohin denn?«, fragte Tweed.
»Keine Ahnung. Er hat es mir nicht gesagt, und ich habe ihn nicht danach gefragt.«
»Selbstverständlich nicht«, erwiderte Tweed sarkastisch.
»Ich habe wirklich keine Ahnung, wo er sich aufhalten könnte«, beteuerte Danvers und beugte sich vor. Die Skepsis in Tweeds Stimme war ihm nicht entgangen. »Ehrlich.«
»Wahrscheinlich kennen Sie sich auf dem Kontinent auch nicht allzu gut aus«, sagte Tweed.
»Im Gegenteil, Sir, ich bin viel in Europa herumgereist. Es gefällt mir sehr.«
»Dann hätte Straub Sie besser mitnehmen sollen. Er war doch sicher noch nie in Europa.«
»Da haben Sie Recht.«
»Seltsame Geschichte, das mit Straub. Aber warum wollten Sie mich eigentlich sprechen?«
»Das ist vertraulich«, sagte Danvers mit einem Blick in die Runde.
»Alle hier Anwesenden arbeiten seit langer Zeit mit mir zusammen. Sie sind absolute Profis, denen ich blind vertraue. Falls Sie mir irgendetwas zu sagen haben, dann sagen Sie es jetzt und hier. Andernfalls müsste ich Sie auffordern, uns wieder zu verlassen.«
»Ich habe schon gehört, dass Sie ein harter Brocken sind...«
»Wer sagt so etwas?«
»Die Leute in der Botschaft. Dort weiß übrigens nur ein einziger, dass ich heute bei Ihnen bin.«
»Und wer ist das?«
»Der Botschafter.«
Tweed sah ihn fragend an.
»Kein Grund zur Beunruhigung, Sir.« Wieder beugte Danvers sich vor. »Der Botschafter ist sehr betroffen über Ihren ›hinterfotzigen ‹ Ausflug nach Maine.«
»Hinterfotzig? Was zum Teufel
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