Die Klinge
Telefon. Es war der Polizist, der sie zum Hotel gefahren hatte.
»Entschuldigen Sie die Störung, mein Herr, aber mein Chef möchte Sie dringend sehen, falls Sie es einrichten können. Ich warte unten, um Sie zu ihm zu bringen.«
»Ich kann es mir einrichten.«
Der Polizist hatte das Gespräch so diskret geführt, dass keine Namen gefallen waren. Es musste etwas Wichtiges passiert sein, wenn Beck ihn so dringend sehen wollte. Tweed ging zu Paulas Zimmer und klopfte an die Tür. Paula öffnete ihm im Bademantel.
»Beck will mit mir sprechen, aber ich weiß noch nicht, weshalb. Ich lasse mich jetzt von seinem Fahrer ins Polizeipräsidium bringen. Sie sind ja ohnehin mit Marienetta zum Tee verabredet.«
Als Tweed fort war, sprang Paula kurz unter die Dusche und packte dann ihren Koffer aus. Sie zog sich ihr blaues Kostüm an und fragte sich dabei, weshalb Beck ihren Chef wohl so schnell wieder sprechen wollte. Das klang nach einem Notfall.
Als sie in die fast leere Hotelhalle trat, sah sie gerade noch, wie Roman Arbogast von seinem Tisch aufstand und wegging. An einem zweiten Tisch in einiger Entfernung saß Marienetta und an einem dritten Sophie. Beide Frauen tranken allein ihren Tee. Seltsam, dachte Paula.
»Hallo, Paula, was haben Sie nur für ein schickes Kostüm an«, sagte Marienetta, als Paula an ihren Tisch trat.
»Das Ihre ist aber auch sehr elegant.«
»Jetzt hören wir aber lieber damit auf«, sagte Marienetta lachend. »Wir machen uns ja schon gegenseitig Komplimente wie zwei alte Damen. Eigentlich sollten wir uns über etwas ganz anderes unterhalten, und zwar über den Stand unserer Ermittlungen. Wir wollten doch zusammenarbeiten, schon vergessen?«
»Natürlich nicht.«
Ein Mann trat aus dem Aufzug in die Halle. Es war Russell Straub, der einen modischen cremefarbenen Anzug, ein blütenweißes, frisch gestärktes Hemd und eine zimtbraune Krawatte trug. Der Vizepräsident hatte einen guten Geschmack, was Kleidung anbetraf. Er ging mit energischen, großen Schritten dicht an ihrem Tisch vorbei
und schien die beiden Frauen überhaupt nicht zu bemerken.
»Hallo, Vetter«, rief Marienetta ihm nach. Straub blieb wie angewurzelt stehen. Langsam drehte er sich um und funkelte Marienetta mit seinen intensiven dunklen Augen böse an. Es war derselbe Blick, mit dem er Tweed während ihrer kurzen Unterhaltung auf Sophies Geburtstagsfest in London bedacht hatte. Dann ging er wortlos weiter und verließ das Hotel.
»Was habe ich denn jetzt Schlimmes gesagt?«, sagte Marienetta verdutzt. »Wir Briten nennen die Amerikaner doch oft unsere amerikanischen Vettern. Ich habe einen Freund im Außenministerium, der verwendet diesen Ausdruck ständig.«
»Vielleicht ist dem Herrn Vizepräsidenten gerade eine Laus über die Leber gelaufen«, sagte Paula.
»Seltsam. Dabei habe ich mich auf Sophies Geburtstag so nett mit ihm unterhalten. Wahrscheinlich hat er einen frustrierenden Nachmittag hinter sich. Aber unterhalten wir uns doch endlich über diese schrecklichen Morde. Haben Sie denn schon einen konkreten Verdacht, wer der Täter sein könnte?«
»Erzählen Sie doch erst einmal, bitte. Ich bin furchtbar hungrig und möchte zuerst ein paar Bissen zu mir nehmen. Aber ich höre Ihnen gern zu.«
»Na schön. Da wäre zunächst einmal dieser komische Reporter Sam Snyder. Ich weiß noch gut, wie er zum ersten Mal zu Onkel Roman kam. Er hat ihm einen Artikel gezeigt, den er über ACTIL als Global Player geschrieben hat. Roman gefiel der Artikel überhaupt nicht. Er hat Snyder daraufhin sogar angeboten, dass er den firmeneigenen Gulfstream-Jet benutzen darf, wann immer dieser verfügbar sei, falls er sich dazu bereit erkläre, den Artikel noch einmal umzuschreiben. Das Ergebnis war, dass der Artikel
nie erschien. Onkel Roman ist schon raffiniert.« Marienetta kicherte.
»Dann ist Snyder also in Ihrer Gulfstream in die USA und wieder zurück geflogen?«
»Das stimmt. So ein Angebot lässt sich doch niemand entgehen. Wann immer in den Staaten etwas Wichtiges passierte, war Snyder vor allen anderen britischen Journalisten zur Stelle. Ich finde seinen Beruf als Kriminalreporter ja ziemlich aufregend.«
»Das verstehe ich gut. Aber können Sie mir erklären, warum Sophie allein Tee trinkt?«
»Sie geht mir aus dem Weg«, antwortete Marienetta mit einem schiefen Lächeln. »Wir haben so was öfter - oder vielleicht sollte ich besser sagen: Sie hat so was öfter. Hin und wieder - besonders, wenn meine Bildhauerei
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