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Die Klingen der Rose: Ein unwiderstehlicher Schurke (German Edition)

Die Klingen der Rose: Ein unwiderstehlicher Schurke (German Edition)

Titel: Die Klingen der Rose: Ein unwiderstehlicher Schurke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Archer
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einflößend vermutlich. Im Ursinn des Wortes spektakulär.
    Weder ihre Bücher noch ihre Vorstellungskraft hatten sie jedoch auf das vorbereitet, was sie nun vor sich sah. Es war eindeutig keine Statue, aber auch kein Lebewesen, sondern irgendetwas dazwischen. Eine gigantische Kreatur. Der Koloss besaß nur ein Auge, doch das schien gut zwei Fuß groß zu sein und leuchtete in der Nachmittagssonne wie Feuer.
    Und es schaute sie direkt an.
    »Bin ich die Tochter des Orakels?«, flüsterte sie Bennett auf Englisch zu. Sie hielt seine Hand fest, denn dieses wohlig vertraute Gefühl gab ihr ein wenig Halt.
    Leise erwiderte Bennett: »Er wollte mit mir, dem Rätsellöser, nur im Beisein der Tochter des Orakels sprechen. Deine Sprachkenntnisse haben uns hierhergeführt. Du hast uns die Worte der Alten übersetzt. Und mir ist eingefallen, dass Kallas dich vielleicht nicht ohne Grund als Orakel bezeichnet hat.«
    »Bist du sicher, dass ich hier nicht so eine Art jungfräuliches Opfer spielen soll?«
    Bennetts Blick wirkte gleichermaßen belustigt wie tadelnd. Natürlich hätte er sie nicht hier heraufgeschafft, wenn der Riese vorhätte, sie wie einen Hering zu verspeisen. Und was das Jungfräuliche anging, diese Tage lagen weit hinter ihr. Das bewiesen nicht zuletzt die Rötungen und Bisse auf ihrer Haut.
    »Was will er?«, flüsterte sie.
    »Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.« Bennett trat einen Schritt nach vorn. In klassischem Griechisch sagte er: »Wie gewünscht habe ich Euch die Tochter des Orakels gebracht.« Er zog London an der Hand zu sich. Widerstrebend trat sie vor.
    Der Riese sah sie mit bedeutsamem Blick an. Obwohl sie in den vergangenen Wochen so einiges erlebt hatte, fühlte sie sich angesichts dieses magischen Wesens, dieses gigantischen Kolosses, mehr als nur ein bisschen verloren.
    »Wie geht es Euch?«, fragte sie ebenfalls in klassischem Griechisch und bedauerte sogleich ihre Taktlosigkeit. Das war hier doch keine verdammte Teeparty! Sie stellte sich vor, wie sie eine Teetasse von der Größe einer Vogeltränke an die Lippen des Kolosses führte, und unterdrückte ein hysterisches Kichern.
    »Bist du wirklich die Tochter des Orakels?«, donnerte der Koloss in samalisch-thrakischem Dialekt.
    London hätte sich um ein Haar die Ohren zugehalten und konnte sich nur im letzten Moment noch beherrschen. Eine solche Geste galt als respektlos, und ein riesiges Wesen wie dieses wollte sie ganz gewiss nicht beleidigen.
    Genauso wenig durfte sie ein Anzeichen von Angst oder Zögern erkennen lassen. »Das bin ich«, erwiderte sie in demselben Dialekt.
    Der Koloss nickte anerkennend mit dem Kopf. Es wirkte auf London, als neigte sich ihr ein Berg entgegen.
    »Die Tochter des Orakels und der Rätsellöser suchen nach dem schrecklichen Geschenk des Meeres, nach dem Feuer, das auf dem Wasser brennt«, fasste der Koloss zusammen. Seine Stimme hallte in Londons Körper wider.
    »Weil wir das Geschenk des Meeres schützen, nicht weil wir es für unsere Zwecke nutzen wollen«, erwiderte Bennett erstaunlich gelassen für einen Mann, der mit einem Riesen sprach.
    Der Koloss maß sie beide mit so durchdringendem Blick, dass London das Gefühl hatte, er müsste in diesem Moment alle ihre Geheimnisse erfahren. Sie betete, dass der Koloss nicht sah, wie sie ihrer Gouvernante einst einen Penny gestohlen hatte, um sich etwas Süßes zu kaufen.
    Nachdem er sie eine Weile prüfend gemustert hatte, dröhnte er: »Wie es mein Wunsch war, kann ich in euren Herzen lesen, und ich sehe, dass ihr die Wahrheit sprecht.«
    London atmete erleichtert auf. All ihren Mut zusammennehmend fragte sie: »Was müssen wir tun, um dieses Geschenk zu finden?«
    »Ich blicke weit zurück«, sagte der Koloss. »Ich sehe Generationen wie Eintagsfliegen vorüberziehen, Jahrzehnte und Jahrhunderte blitzen auf und verlöschen. Ich sehe die Jahrtausende vergehen. Ich sehe meine Vernichtung. Das Monument zu meinen Ehren fällt einem Erdbeben meines Bruders Poseidon zum Opfer.« Der Koloss verzog bitter den Mund. »Eifersucht. Aber von diesem Narren, der im Wasser gefangen sitzt, war nichts anderes zu erwarten.«
    London und Bennett tauschten einen Blick. Anscheinend kannten auch Götter familiäre Probleme.
    »Jahrhundertelang lag mein Denkmal in Trümmern«, fuhr der Koloss fort. »Schließlich transportierte man es Stück für Stück auf dem Rücken von neunhundert Kamelen ab und schmolz es ein. Es ist für immer verloren. Alles ist

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