Die Klingen der Rose: Ein unwiderstehlicher Schurke (German Edition)
und englischer Lebensstil werden sich wie ein Lauffeuer auf der Welt verbreiten und sie erleuchten.«
»Und die Opfer eures Machtstrebens? Zählen diese Menschen nicht?«
Diesen Einwand wies ihr Vater mit energischer Geste von sich. »In Relation zu den Bedürfnissen von Millionen ist das Leben einer Handvoll ungebildeter Barbaren doch wertlos. Ist es nicht besser, ein paar wenige Leben zu opfern, wenn sich dadurch das Wohl ganzer Nationen aufrechterhalten lässt? Das ist simple Mathematik. Selbst eine Frau sollte das begreifen können.« Er lächelte sie nachsichtig an.
London fühlte sich leer und durcheinander. Aus der Sicht ihres Vaters schien alles ganz einfach. England hatte recht. Alle anderen nicht. Nur war ihr klar, dass nichts auf der Welt einfach nur weiß oder schwarz war. Es gab viele Grautöne. Und leider versank London gerade ganz und gar in Grau. Für sie gab es keine Farbe mehr, vor allem nicht in ihrer Seele. Nach einer Weile fragte sie: »Weiß Mutter davon?«
»Nur, was ich ihr erzähle, und das ist nicht viel. Sie ist nicht wie du, London«, fügte er in vertrauensvollem schmeichelndem Ton hinzu. »Du bist eine kluge junge Frau. Ich wette, du bist sogar schlauer als der arme Jonas. Selbst Harcourt verfügte nicht über deine Intelligenz. Und deshalb brauchen die Erben deine Hilfe.«
»Um die Inschrift zu übersetzen, damit ihr die Quelle findet.«
»Genau so ist es.« Er tätschelte ihr Knie. »Komm schon, willst du deinem alten Vater nicht erzählen, wie du diesen schrecklichen Klingen entkommen bist? Na? Warst du ein cleveres Mädchen?«
London hatte keine Lust, ihm zu verraten, was auf dem Kaik geschehen war, und um keinen Preis würde sie ihm von ihrem Kuss mit Bennett Day erzählen. Allein der Gedanke daran ließ ihren Puls höher schlagen. »Ich glaube, als sie eingesehen haben, dass ich ihnen nicht von Nutzen sein kann, haben sie mich gehen lassen.«
Er nickte zufrieden. »Ohne deine Sprachkenntnisse irren sie blind umher. Aber wir dürfen nicht damit rechnen, dass sie klein beigeben und nach Hause fahren werden. Diese Klingen sind anhänglich wie Kletten. Bis man sie abbrennt.«
Noch mehr grausame Bilder tauchten in Londons Kopf auf. Bilder, bei denen ihr ziemlich übel wurde. Sie schlug die Decke zurück und erhob sich. Ihr Vater stand ebenfalls auf. »Ich sollte jetzt wirklich zu Bett gehen, Vater.«
»Natürlich«, erwiderte er mit einem gütigen Lächeln. »Solche Aufregungen bist du nicht gewohnt. Frauen sind zarte Blumen.«
»Im Augenblick fühle ich mich allenfalls wie eine verwelkte Blume«, sagte London matt.
Darauf wusste er keine Antwort. Er schob ihre Hand in seine Armbeuge und führte sie hinaus aus der Kabine und über den Flur zu ihrer eigenen Unterkunft. London fühlte sich an ihren ersten öffentlichen Auftritt erinnert, als sie in ihrem bauschigen weißen Kleid zum ersten Mal einen Ballsaal betreten hatte. Dann dachte sie an ihre Hochzeit, als ihr Vater sie den Gang hinunter und zu ihrem Bräutigam geführt hatte. Sie war sehr aufgeregt und ängstlich gewesen und wäre in dem engen Korsett beinahe erstickt. Doch das hatte sie gern auf sich genommen, wo Lawrence sie dafür doch zur Frau nahm.
Wohin führte ihr Vater sie jetzt? In die Welt der Erben von Albion?
Lawrence hatte den Erben angehört. Überall auf der Welt hatte er nach Quellen gesucht, um sie für die Erben zu erbeuten. Deshalb war er nie zu Hause gewesen. London hatte mehr Zeit allein in ihrem Stadthaus verbracht als zusammen mit ihrem Ehemann. In den wenigen Wochen, die er zwischen seinen Aufträgen zu Hause gewesen war, hatte alles gut begonnen, und zunächst hatte London wirklich geglaubt, sie könnten als Mann und Frau glücklich miteinander sein. Doch nach dieser ersten Zeit … Es war besser, sie dachte nicht mehr daran. Nach einer Weile hatte London jedenfalls nicht mehr geglaubt, im Eheleben ihr Glück zu finden. Eine Scheidung kam allerdings nicht infrage, und sie hatte sich nicht dazu überwinden können, sich einen Liebhaber zu suchen. Also machte sie weiter und redete sich ein, das müsse alles so sein.
Bis Lawrence starb. Ein Unfall im Ausland, hatte man ihr gesagt. Die Kutsche sei an der felsenreichen Küste von Südfrankreich über eine Klippe gestürzt. Seine Leiche habe man nicht gefunden, und so hatte sie an einem leeren Grab trauern müssen.
»Was ist mit Lawrence geschehen, Vater?«, fragte sie, als sie auf ihre Kabine zugingen. »Er kam nicht bei einem Kutschenunglück ums
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