Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
hatten. Sie schätzte seine Diskretion, vermutete jedoch, dass eine neue Taktik dahintersteckte. Er mochte es zwar nicht glauben, aber um seinetwillen konnte sie ihm niemals alles erzählen. Und sie musste ihn loswerden. Und zwar sofort.
Mit diesem Gedanken schlug Thalia ganz langsam ihre Decke zurück und rollte sich in die Hocke hoch. In der Dunkelheit konnte sie nicht viel erkennen, doch Batu schlief nur ein Stück rechts von ihr. Sie kroch zu ihm hinüber und weckte ihn, indem sie ihm eine Hand auf die Schulter legte. Vorsichtshalber hielt sie ihm mit der anderen währenddessen den Mund zu. Thalia deutete dorthin, wo Hauptmann Huntley schlief. Batu nickte. Er begriff und stand auf. Auf Zehenspitzen liefen sie zu den angebunden Pferden und packten so leise wie möglich, wobei sie in erster Linie mit ihrem Tastsinn arbeiteten. Schnaubend und mit den Hufen scharrend, wärmten sich die Tiere für die bevorstehende Reise auf. Thalia blickte alarmiert über ihre Schulter zurück.
Der Horizont färbte sich rosa, und die Bergspitzen am Horizont brannten im Licht des Sonnenaufgangs. Bis die Sonnenstrahlen auch sie erreichten, dauerte es noch, dann wachte Hauptmann Huntley zweifellos auf. Obwohl er jedes Mal wach gewesen war, wenn sie aus einem Albtraum hochschreckte, schien er jetzt tief und fest zu schlafen. Vielleicht hatte sie ihn mit ihren beängstigenden Träumen geschafft. Zumindest dafür konnte sie den Albträumen dankbar sein. Aber sie durfte sich nicht auf die Erschöpfung des Hauptmanns verlassen. Sie mussten rasch aufbrechen.
Thalia war hin- und hergerissen, ob sie das Pferd des Hauptmanns mitnehmen sollte oder nicht. Mongolen gingen nicht gern zu Fuß. Schon die kleinen Kinder lernten zu reiten, kaum dass sie die ersten Schritte getan hatten. Doch die Steppe war weder unbewohnt noch unbewohnbar. Hauptmann Huntley das Pferd wegzunehmen, bedeutete kein Todesurteil. Wenn er sich zu Fuß auf den Weg machte, konnte er innerhalb eines Tages ein Ger erreichen, vielleicht sogar früher. Wenn sie ihm das Pferd wegnahm, konnte sie ihn loswerden, ohne ihm damit schwer zu schaden.
So leise sie konnte, suchte sie zwischen den Pferden nach seiner großen Stute, konnte sie aber nicht finden. Sie tappte zu Batu und flüsterte in sein Ohr: »Wo ist das Pferd des Hauptmanns?«
Batu war als Nomade aufgewachsen und kannte Pferde besser als die meisten Menschen ihre Eltern. Nachdem er kurz nachgesehen hatte, flüsterte er zurück: »Das Pferd ist weg.«
Thalia war alarmiert. Beim Aufschlagen des Lagers hatte der Hauptmann sein Pferd angebunden. Sie hatte diskret zugesehen, um sich davon zu überzeugen, dass er es anständig machte, was der Fall gewesen war. Wo zum Teufel steckte das Tier nun? Es konnte nicht allein losgewandert sein. Hatte man es gestohlen?
Einer seltsamen Eingebung folgend, näherte sich Thalia vorsichtig der Stelle, an der Hauptmann Huntley schlief. Währenddessen erhellten die ersten Sonnenstrahlen das Lager. Und da sah sie es.
Der Hauptmann war fort. Wo er gelegen hatte, fand sich ein schwacher Abdruck im Boden; mehr war nicht von ihm geblieben. Sein Pferd, sein Gepäck, alles war verschwunden. Sie ging in die Hocke und berührte die Erde, als wollte sie die Wärme seines Körpers spüren und herausfinden, wie lange er schon weg war. Natürlich war der Boden kalt.
Sie spürte einen Anflug von Panik. Was, wenn ihm etwas passiert war? Hatten die Erben ihn entführt, während Batu und sie ahnungslos schliefen? Nein. Er war ein Soldat, und zwar ein guter. Ihm war nichts Schlimmes geschehen. Es musste eine andere Erklärung für seine Abwesenheit geben.
Sie richtete sich auf. »Er hat uns verlassen«, sagte sie zu Batu, als er neben sie trat.
»Ohne etwas zu sagen?«
»Sieht so aus.« Als sie über die Entwicklung nachdachte, stieg Ärger in ihr auf. »Ich schätze, seine ganzen Beteuerungen waren nicht ernst gemeint. Dass er uns begleiten und beschützen wollte.« Wütend auf den Hauptmann, weil er sie verlassen hatte, und noch wütender auf sich selbst, weil es ihr etwas ausmachte, ging Thalia zurück zu ihrem Pferd und richtete den Sattel.
»Oder er hat sich Ihre Worte zu Herzen genommen und ist nach Hause geritten«, meinte Batu, der hinter ihr herkam. »Wenn eine Frau seine Gesellschaft nicht wünscht, bleibt ein Mann nicht lange.«
Mit finsterer Miene sah Thalia ihren alten Freund an, der ihren Blick gelassen erwiderte. Daraufhin ließ sie ihren Frust an dem armen Pferd aus und zog heftig am
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