Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
die kühle Morgenluft in ihrem Gesicht spürte, erwachte etwas Seltsames, etwas Überraschendes in ihr zum Leben. Später merkte sie, dass es sich um ein heimliches Glücksgefühl handelte.
5
THORS HAMMER
Batu, der Diener, schrie Thalia etwas auf Mongolisch zu. Er klang ängstlich. Sie antwortete ihm etwas ruhiger, aber ebenfalls auf Mongolisch, sodass Huntley nicht verstand, worum es ging. Er wusste nicht, ob er fragen sollte. Seit ihrer etwas unterkühlten Reaktion auf seine morgendlichen Flirtversuche hatte Huntley sie klugerweise in Ruhe gelassen und nur wenig gesprochen.
Vielleicht hatte ihr Vater sie so erzogen, dass sie sich Männern gegenüber verschloss. Das würde erklären, wieso sie so nervös und kurz angebunden war. Oder, dachte er sarkastisch, seine ungeschickten Annäherungsversuche wirkten nur bei den letzten Flittchen. Vielleicht hätte er sich in Peking um seine sexuellen Bedürfnisse kümmern sollen. Dort hatte es eine Menge Gelegenheiten gegeben, aber Huntley zahlte nicht gern für weibliche Gesellschaft, was am einfachsten gewesen wäre. Außerdem hatte er unter Zeitdruck gestanden. Also war er weitergereist und erhielt nun offenbar die Quittung dafür. Indem er unbeholfen mit einer Frau flirtete, die sich wünschte, sein Pferd würde ihn abwerfen.
Den Großteil des Tages war das Trio schweigend hintereinander hergeritten. Noch nicht einmal zum Essen hatten sie angehalten. Stattdessen hatten sie im Sattel auf diesem getrockneten Fleisch herumgekaut. Thalia ritt voran, während Huntley weiterhin den Schluss der Gruppe bildete und Augen und Ohren offen hielt. Gelegentlich waren sie einem Nomaden mit einer Schafherde begegnet und hatten in der Ferne ein paar von diesen großen Zelten gesehen. Thalia bezeichnete sie als Gers und schien sie bewusst zu meiden. Huntley musste zugeben, dass sein Interesse an dieser Frau stetig wuchs, und das nicht nur, weil er selten eine so schöne Frau gesehen hatte. Sie kämpfte fast so gut wie ein alter Veteran, und obwohl man sie nicht als maskulin bezeichnen konnte, wirkte sie nicht zerbrechlich. Vielleicht sollte er doch gleich nach dem Ende der Mission nach England zurückkehren und sich eine brave Frau suchen, die am liebsten Pantoffeln und Kopfkissen bestickte. Sein Wertesystem musste dringend überholt werden.
Die Unterhaltung zwischen ihr und dem Diener gestaltete sich lebhaft, und als Batu gen Osten zeigte, folgte Huntley mit dem Blick seinem Finger. Über ihnen schwebten nur ein paar kleine Wölkchen, doch in ihrem Rücken, am östlichen Horizont, verdunkelte sich der Himmel bedrohlich. Was Batu überaus beunruhigte.
»Ein Sturm kommt auf«, stellte Huntley fest.
Thalia und Batu brachten ihre Pferde zum Stehen und wandten ihm ihre Blicke zu. »Ja, ein Sturm«, bestätigte Batu. »Ein schwerer.« Wieder sprach er sehr schnell auf Mongolisch mit Thalia, woraufhin sie den Kopf schüttelte.
»Ich dachte, in der Mongolei würde es so gut wie nie regnen«, sagte Huntley.
»Das stimmt«, bestätigte Thalia. Sie blickte mit gerunzelter Stirn zum Himmel, und zwischen ihren geraden schwarzen Brauen bildete sich eine Sorgenfalte.
»Aber der Wind weht südwärts«, führte Huntley aus. »Der Sturm sollte uns keine Schwierigkeiten machen.«
Der Diener schüttelte den Kopf. »Nein. Er kommt auf uns zu.«
»Ich wüsste nicht, wie das möglich sein sollte.«
»Aber es ist möglich«, erklärte Thalia angespannt. »Der Sturm kommt näher. Und wir sollten versuchen, ihm zu entfliehen.«
Sie hatte recht. Seit sie angehalten hatten, war der schmale dunkle Gürtel, der nur einen Bruchteil des Himmels bedeckt hatte, zur dreifachen Größe angewachsen. In der offenen mongolischen Steppe konnte man die sintflutartigen Regenfälle in Form einer grauen Säule zwischen Himmel und Erde deutlich erkennen. Der Sturm schien mit der Geschwindigkeit einer Dampflok direkt auf sie zuzukommen. Bei diesem Tempo waren sie in einer halben Stunde klatschnass.
»Teufel«, fluchte Huntley.
»Nein, Hauptmann«, korrigierte Thalia grimmig, »schlimmer.« Sie trieb ihr Pferd zum Galopp an, Batu und Huntley hielten sich dicht hinter ihr.
Augenblicklich frischte der Wind auf und verwandelte sich von einer sanften Brise in einen bösen Orkan, der ihnen die Tränen in die Augen trieb. Mit dem nahenden Unwetter trübte sich der strahlende Tag rasch ein. So sehr sie auch ihre Pferde antrieben, die gigantische dunkle Wolkenwand rückte immer näher, bedeckte den Himmel und legte Schatten
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