Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
über das Land. Sie ritten über offene Weiden und steinige Felder und versuchten, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und das nahende Gewitter zu bringen.
Huntley riskierte einen kurzen Blick über seine Schulter und zog automatisch an den Zügeln. Beinahe hätte sein Pferd gescheut, doch er fing sich wieder und trieb das Tier vorwärts. Während seines langjährigen Militärdienstes hatte Huntley viele unglaubliche Wettersituationen erlebt, aber noch nie war ihm ein solches Unwetter untergekommen. Mittlerweile war er sicher, dass es sie jagte. Die gefährlichen schwarzen Wolken türmten sich zu hohen Bergen auf, tosten und wirbelten mit unkontrollierter Wut umeinander.
Kaum hatten die Wolken sie erreicht, prasselte der Regen auf sie nieder. Augenblicklich war ihre Kleidung völlig durchnässt. Während sie weiter durch den Regen rasten, bekamen sie kaum noch Luft – das Wasser lief unablässig von Huntleys Hutkrempe über seine Nase und in seinen Mund. Huntley blinzelte. Er konnte kaum noch die Umrisse von Thalia und Batu ausmachen, die vor ihm ebenfalls mit dem rasenden Wind und dem peitschenden Regen kämpften. Ein Donnerschlag zerriss die Luft mit einem so lauten Knall, dass Huntley meinte, neben ihm sei eine Kanone losgegangen. Sein Pferd bäumte sich auf, und er musste seine gesamte Kraft einsetzen, um das Tier unter Kontrolle zu bringen und die Flucht fortzusetzen.
Sie erklommen einen Hügel und suchten unter einem Felsvorsprung Schutz. Thalia erreichte ihn zuerst, Huntley und Batu kurz nach ihr. Die Felsen boten nur wenig Schutz, und während die Reiter atemlos den Sturm beobachteten, drängten sich ihre Pferde ängstlich aneinander.
»Hier können wir nicht lange bleiben«, schrie Huntley durch den prasselnden Regen. Wie zur Bekräftigung seiner Worte lösten sich unter den Wassermassen Steine, krachten auf den Vorsprung und landeten neben den bereits nervösen Pferden.
»Nicht weit von hier, auf der anderen Seite des Flusses, gibt es eine Höhle«, schrie Thalia. Ungeduldig schob sie die dunklen Haare zurück, die in ihrem Gesicht klebten. Sie nahm ihre durchweichte Mütze vom Kopf und steckte sie in eine Satteltasche. »Sobald die Pferde sich beruhigt haben, brechen wir auf.«
Huntley wollte antworten, wurde aber von einem Blitzschlag unterbrochen, der wenige hundert Yards von ihnen entfernt in den Boden einschlug. Der gigantische Blitz leuchtete so hell, dass Huntley schützend die Hand über die Augen hielt. Ein weiterer heftiger Donnerschlag dröhnte durch die Luft. Huntley spürte die Erschütterung des Bodens bis ins Mark. Es fühlte sich an wie ein Bombardement. Die Wolken flogen über ihre Köpfe hinweg, und das dunkle Zentrum des Sturms rückte näher. Huntley konnte nicht fassen, dass ein Sturm so viel Kraft besaß. Dann sah er etwas, das ihn an seinem Verstand zweifeln ließ.
Dort, zwischen den Wolken von der Größe einer Bergwand, formte sich das Gesicht eines Mannes. Huntley rieb sich die Augen und versuchte, das Wasser wegzuwischen. Doch gleichgültig, wie fest er die Augen zusammenkniff, das Bild verblasste nicht, sondern gewann stattdessen an Kontur und Größe. Dort erschien tatsächlich das stolze, grimmige Gesicht eines Mannes mit einem großen Schnurrbart, der den Bart zu Zöpfen geflochten hatte und auf dem Kopf einen nordischen Helm trug. Ein Wikinger. Huntley beobachtete ungläubig, wie die Wolken einen riesigen Arm formten, der einen Hammer in der Faust hielt. Der Wikinger öffnete mit donnerndem Gebrüll den Mund, ließ den Hammer auf die Erde niedersausen und löste dadurch einen weiteren Blitzschlag aus, der in eine kleine Baumgruppe einschlug. Die Bäume fingen Feuer, und schließlich blieben nur verkohlte Stümpfe im Regen zurück. Huntley fluchte heftig.
»Was zum Teufel war das?«, fragte Huntley an Thalia gewandt. Trotz ihres bleichen Gesichtes und der großen, geweiteten Augen wirkte sie nicht, als habe sie etwas Außergewöhnliches beobachtet, sondern vielmehr, als habe sie mit so etwas gerechnet. Aber das war unmöglich. Niemand konnte etwas derart Abartiges vorhersehen.
»Wir können nicht länger warten«, schrie sie über den Tumult hinweg. »Wir müssen jetzt zur Höhle reiten!«
Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um auf Antworten zu drängen. In wenigen Minuten befand sich der Sturm direkt über ihnen, und dann stürzten mit Sicherheit die Felsen, unter denen sie Schutz gesucht hatten, auf sie herab. Sie verließen den Felsvorsprung und ritten
Weitere Kostenlose Bücher