Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
beobachten. Das beruhigte Thalia etwas.
Kurz nachdem Gabriel mit guten Nachrichten, aber düsterer Stimmung im Lager angekommen war, hatte er sich etwas zu essen genommen und war in der Dunkelheit verschwunden, um sich mit dem Lied der Schamanin zu befassen. Anscheinend hatte er keinen Erfolg gehabt. Thalia und Batu tauschten bedeutungsvolle Blicke, dann wandte sich Batu schweigend wieder seiner Satteldecke zu, in der er ein Loch stopfte. Dafür war sie ihm dankbar. Thalia wollte nicht mehr hören, was ihr alter Freund über Gabriel dachte. Ihre eigenen Gedanken beschäftigten sie bereits genug.
»Geben Sie sich eine Chance«, sagte sie zu Gabriel.
Er schnaubte verächtlich. »Diese ganze verflixte Angelegenheit ist eine große, verdammte Zeitverschwendung.«
»Das stimmt nicht«, widersprach sie. »Sie haben uns so weit geführt.«
»Und wo zum Teufel sind wir?«, grummelte er. »Wir haben keine einzige beschissene Quelle gefunden. Vielleicht will diese alte Hexe aus Karakorum die Quelle für sich haben und hat uns in die Irre geschickt.«
»Das würde sie nicht tun.«
Gabriel setzte sich auf, und selbst in der finsteren Dämmerung sah sie das Funkeln in seinen goldenen Augen. »Ach was. Ihr zwei seid wohl Busenfreundinnen, was?«, zischte er.
Thalia ließ sich nicht provozieren. »Sie klingen, als wäre Ihnen eine Laus über die Leber gelaufen.«
Anstelle einer Antwort raufte er sich die Haare, die daraufhin charmant von seinem Kopf abstanden, was ihm ein ungewöhnlich jugendliches Aussehen verlieh. Es stand in Kontrast zu dem goldfarbenen Bart, der ihm in den letzten Tagen gewachsen war. Eine anstrengende Reise ließ wenig Zeit für kleine Annehmlichkeiten wie das Rasieren. Dabei wünschte sie sich sehnsüchtig, ihm bei dieser profanen Aufgabe zuzusehen. Wie er den Schaum auf seine Wangen auftrug, das Rasiermesser gezielt über das Gesicht bewegte und die Haut zum Vorschein kam. Thalia griff eine andere Satteldecke und gab vor, darin nach weiteren Rissen zu suchen, um die Hand nicht auf seine harten Bartstoppeln und weichen Lippen zu legen.
»Ich bin es nicht gewohnt, in dieser Weise zu verfahren«, sagte er nach einer Pause. Sie wusste, dass ihm dieses Geständnis nicht leichtfiel. »Zu wissen, dass der Feind dort draußen lauert, ohne irgendetwas dagegen unternehmen zu können. In einem Lied nach Hinweisen zu suchen, die mich zu etwas führen, das ich nicht verstehe. So geht das nicht.«
»Wir sind hier nicht in der Armee«, erinnerte sie ihn. »Sobald wir die Quelle gefunden haben, können Sie in Ihr altes Leben zurückkehren.« Ein stechender Schmerz durchfuhr sie, wenn sie daran dachte, dass sie und Hauptmann Gabriel Huntley sich trennen und zu ihrem jeweiligen Leben zurückkehren würden. Nach nur wenigen Tagen beherrschte er einen Großteil ihrer Gedanken und ihrer Gefühle. Ihr Körper sehnte sich nach seiner Berührung, und es beunruhigte sie, wie schnell sie ihm einen Platz in ihrem Herzen gewährt hatte. Das war auch Batu aufgefallen. Im Kloster von Erdene Zuu hatte er sie daran erinnert, wie sehr sie wegen Sergej gelitten hatte und dass sie Gefahr liefe, das Gleiche noch einmal durchzumachen. Voller Zuversicht glaubte Thalia, dass sie in Bezug auf ihr Herz viel klüger geworden war, und beharrte darauf, nicht noch einmal denselben Fehler zu begehen. Doch mit jeder Minute, die sie mit Gabriel verbrachte, schmolz diese Zuversicht. Als sie die drei Felsspitzen entdeckten, hatte sie aus einem inneren Impuls heraus seine Hand ergriffen. Ohne darüber nachzudenken. Als sie bemerkte, was sie da tat, war sie wütend auf sich. Sie hatte sich von Gabriel losgemacht und versucht, ihre außer Kontrolle geratenen Gefühle in den Griff zu bekommen.
Vielleicht hatte Batu am Ende doch recht. Verdammt.
Wenn Gabriel zur Armee zurückkehrte, sahen sie sich wahrscheinlich nie wieder. Er würde eine große Leere in ihr hinterlassen, die sie selbst zu verantworten hatte. Über Sergej war sie mit der Zeit hinweggekommen, doch irgendwie spürte Thalia, dass sie unter dem Abschied von Hauptmann Huntley stärker und länger leiden würde. In Wahrheit war sie nicht wütend auf Batu, sondern auf sich selbst.
»Ich gehe nicht zurück«, erklärte Gabriel.
Ihr Herz machte einen Sprung, und sie versuchte erneut, es unter Kontrolle zu bekommen. Er wollte desertieren? »Wohin?«, fragte sie bemüht gleichgültig.
Gabriel hob einige Zweige und begann, sie zu zerkleinern. Selbst bei dieser profanen Aufgabe ging er
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