Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
Meilen oder mehr bedeuten«, entgegnete Gabriel ziemlich verzweifelt. Er reinigte unnötigerweise sein Gewehr mit dem kurzen Lauf. Thalia hatte beobachtet, wie er es erst am Vorabend gewissenhaft gesäubert hatte. Er brauchte eine Aufgabe, musste sich irgendwie nützlich machen. Sie stellte sich ihn hinter dem Tresen einer Bank vor, oder wie er mit wichtigen Dokumenten in einer ledernen Aktentasche die Straße einer Stadt hinunterschritt. Keines dieser Bilder schien zu ihm zu passen. In ihren Augen jedenfalls nicht.
Er hörte auf, den Gewehrlauf abzuwischen, und stand auf. »Sie und Batu bleiben hier«, verkündete Gabriel. Er schob das Gewehr in seine Hülle, schulterte es und machte sich auf den Weg zu seinem Pferd. »Ich werde weiter die Gegend erkunden und versuchen, das karmesinrote Feld zu finden. Was immer das ist.«
»Zwei Sachen, Hauptmann .« Thalia stemmte die Hände in die Hüften und baute sich vor Gabriel auf. Er blieb stehen, runzelte die Stirn und sah sie ungeduldig an. »Erstens: Sie haben hier keine Befehlsgewalt und können Batu und mich nicht einfach herumkommandieren.«
Sein Kiefer wirkte angespannt. Er mochte die Armee verlassen haben, aber seinen Befehlston hatte er nicht abgelegt. Und sein Ärger darüber, dass es derzeit nicht voranging, verstärkte seine dominante Seite.
»Und zweitens?«, knurrte er.
» Keiner von uns muss durch die Landschaft reiten und nach etwas suchen, denn wir haben ein Gerät, mit dem wir in die Ferne sehen können.« Sie trat an ihm vorbei zu den Satteltaschen. »Zum Glück hat Thors Hammer es nicht weggespült.« Thalia wühlte in der Tasche.
»Ein Fernglas habe ich«, erklärte Gabriel hinter ihr.
»Damit kann man nicht annähernd so weit sehen wie mit diesem Gerät«, verkündete sie, als sie fand, wonach sie gesucht hatte. Mit einem triumphierenden Lächeln zog sie den Gegenstand aus der Satteltasche und faltete ihn mit Batus Hilfe rasch auseinander.
Es handelte sich um einen neumodischen Apparat aus bunten Leinwänden, die auf einen Holzrahmen gezogen waren. Die Leinwand war außerordentlich kunstvoll und detailgenau bemalt. Gabriel starrte auf den Gegenstand in ihren Händen. »Ein Stoffadler«, stellte er schließlich fest. »In Lebensgröße.« Vorsichtig berührte er den Stoff, als wollte er sich von seiner Echtheit überzeugen. Thalia musste zugeben, dass der Stoffvogel auf eine fast übernatürliche Art wunderschön war. Jede Feder schien bereit, den Wind aufzunehmen, und die Augen funkelten, als wäre er lebendig.
»Damit können wir weiter sehen als mit dem besten Fernglas«, erklärte sie.
»Wenn es beim Sehen hilft, hätten wir es schon früher benutzen können.«
»Die Umstände waren nicht geeignet. Vielleicht können Sie sich an den nächsten Teil des Liedes nicht erinnern, weil es zu Ende ist. Jetzt müssen wir die Arbeit übernehmen.«
Er betrachtete das Tier aus Leinwand und Holz. »Machen Sie mithilfe eines Zauberspruchs einen echten Adler aus ihm?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Die Klingen der Rose nutzen möglichst keine Magie, die ihnen nicht gehört. Aber wir besitzen etwas, das fast genauso mächtig ist.« Sie nickte mit dem Kopf, woraufhin Batu einen ledernen Kasten aus der Satteltasche holte und ihr brachte. Als sie ihn öffnete, kam ein großes Prisma zum Vorschein, das über Messingketten mit diversen Linsen von einigen Zoll Durchmesser verbunden war. Während Batu die Linsen festhielt, befestigte Thalia das Prisma an einen Haken am Körper des Adlers.
»Wenn wir das hier verloren hätten, wäre Graves Guai sehr unglücklich«, sagte Batu.
Sie blickte von ihrer Arbeit auf und bemerkte, dass Gabriel sie aufmerksam beobachtete, seine Augen scharf wie geschliffener Topas. Anstatt sie mit einer Litanei von Fragen zu quälen, ließ er sie das Gerät aufbauen und beobachtete sie derart aufmerksam, dass es ihr fast unangenehm war.
»Fertig«, verkündete sie schließlich. Thalia entfernte sich einige Schritte von Gabriel und spürte den Wind auf ihrem Gesicht. Seine Stärke sollte ausreichen. Sie hob den Stoffvogel hoch und begann zu laufen. Prisma und Linsen erwiesen sich als etwas hinderlich, doch sie rannte weiter über das herbstliche Gras. Schließlich ließ sie los. Der Stoffadler erhob sich in die Luft, und Thalia hielt ihn mit einer hölzernen Spule an einer langen, gewachsten Schnur. Das Prisma hing unter dem Stoffvogel, und die Linsen baumelten unter dem Prisma. Sie hörte auf zu laufen und ließ Leine nach.
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