Die Klinik
erleiden.«
Adam sah den älteren Chirurgen an. Alle möglichen Empfindungen strömten gleichzeitig auf ihn ein. »Aber wann sagen Sie sich eigentlich: Dieser Mann ist weg, wir können ihn nie zurückbringen, lassen wir ihn friedlich und in Würde sterben?«
»Das entscheidet jeder Arzt selbst. Ich sage es nie.«
»Nie?«
»Verdammt, mein junger Freund«, sagte Kender, »sehen Sie sich doch einmal an, was in diesem Krankenhaus schon alles geschehen ist, noch gar nicht lange her, Leute, die hier arbeiten, können sich noch gut daran erinnern. Im Jahre 1925 begann ein junger Arzt namens Paul Dudley White ein fünfzehn Jahre altes Mädchen aus Brockton zu behandeln. Drei Jahre später lag sie im Sterben, weil ihr Herz von einem lederartigen pericordialen Überzug zu Tode gewürgt wurde. Er ließ sie acht oder neunmal in das Massachusetts General Hospital einliefern, und jeder sah sie sich an und behandelte sie, aber keiner konnte etwas unternehmen. Also schickte er das arme Ding wieder heim und wußte, daß es sterben mußte, falls das Pericardium nicht irgendwie entfernt werden konnte. Er grübelte und grübelte darüber nach und ließ Katherine noch einmal in das M. G. H. aufnehmen, in der Hoffnung, daß sich ein chirurgischer Eingriff doch irgendwie als möglich erweisen würde. Durch einen Glücksfall – nennen Sie es einen Fall der zufälligen, ,glücklichen Entdeckungen’ – war gerade um jene Zeit ein junger Chirurg namens Edward Delos Churchill aus Europa in das Massachusetts General zurückgekehrt, er hatte eben ein, zwei Jahre fortgeschrittenere Schulung in Thoraxchirurgie hinter sich, sowie eine Zeit lang unter dem großen Ferdinand Sauerbruch in Berlin gearbeitet. Natürlich sollte Churchill später Chefchirurg am Massachusetts General Hospital werden.
Nun, Dr. White traf ihn in dem alten Backsteinkorridor dort drüben und überredete ihn, in die Station hinaufzukommen und sich Katherine anzusehen. In den Vereinigten Staaten war es noch nie jemandem gelungen, einer konstriktiven Pericarditis mit dem Messer oder Medikamenten beizukommen. Dr. White bat jedoch Dr. Churchill, es doch zu versuchen, schließlich –« Kender zuckte die Achseln – »starb das Mädchen langsam dahin.
Nun, Churchill operierte. Und sie lebte. Tatsache ist, daß sie heute Großmutter ist. Und in den letzten vierzig Jahren wurden Hunderte mit konstriktiver Pericarditis erfolgreich operiert.«
Adam sagte nichts. Er saß einfach da und trank seinen Kaffee.
»Wollen Sie noch weitere Beispiele? Dr. George Minot. Glänzender junger Bostoner Forscher, starb fast an Diabetes, als es noch keine wirksame Behandlung gab. Knapp vor seinem Ende erhielt er eine der frühesten Proben eines funkelnagelneuen, von zwei Kanadiern, Dr. Fredrick C. Banting und Dr. Charles H. Best, entdeckten Hormons – Insulin. Er starb nicht. Und weil er nicht starb, bekam er schließlich den Nobelpreis, weil er die Heilmethode für perniziöse Anämie ausarbeitete, und eine ungeheure Zahl anderer Leute wurden gerettet, wer weiß, wie viele davon gerade noch rechtzeitig.« Er schlug Adam kräftig auf den Schenkel und blies ihm Zigarrenrauch ins Gesicht. »Das ist der Grund, warum ich keine eleganten Zugeständnisse an einen leichten Tod mache, mein Sohn. Das ist der Grund, warum ich lieber bis ans Ende kämpfe, obwohl es scheußlich ist und schmerzt.«
Adam schüttelte nicht überzeugt den Kopf. »Es spricht trotzdem sehr viel dafür, angesichts einer unvermeidlichen Niederlage schreckliche und grausame Schmerzen nicht zu verlängern.«
Kender sah ihn an und lächelte. »Sie sind jung«, sagte er.
»Ich bin neugierig, ob Sie Ihre Ansichten nicht ändern.«
»Das bezweifle ich.«
Kender blies ihm eine Wolke stinkenden Zigarrenrauchs ins Gesicht. »Wir werden sehen«, sagte er.
Als er mitten in der Nacht in Turnanzug, Handschuhen, Halstuch und Pelzstiefeln über weichen Neuschnee lief, der wie zermalmtes Glas unter den Straßenlampen glitzerte, und er seine Kreise um das Krankenhaus, seine Sonne, zog, bis sich die Kälte des Weltraums in seine Lungen fraß und sein Lebenszentrum mit Speeren durchbohrte, wußte er, daß Spurgeon Robinson recht hatte: Silverstones Plansoll war Scheiße und Kuhmist. Liz Meomartino bot ihm die Erfüllung von Silverstones Plansoll auf einem Silbertablett an, und er erkannte blitzartig, daß es durchaus nicht das war, was er wollte. Er sehnte sich verzweifelt danach, in zwanzig Jahren eine Mischung aus Lobsenz und Sack und
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