Die Klinik
herkommen? Es wäre schnell und glatt vorübergegangen, ohne… das hier.«
»Gehen wir hinein, setzen wir uns hin und reden miteinander.«
»Ich will nicht hinein.«
»Dann komm in den Wagen. Wir fahren ein Stück.«
Sie gingen zum Plymouth, aber er hielt die Tür für sie auf der Beifahrerseite auf und setzte sich selbst hinter das Steuer.
Er fuhr eine Weile, ohne zu sprechen, zurück zur Autobahn, dann nordwärts.
»Ich habe mit Dr. Williams gesprochen«, sagte er.
»Oh.«
»Ich habe dir einiges zu sagen. Ich will, daß du aufmerksam zuhörst.« Aber dann wußte er nicht, wie beginnen, er hatte noch nie vorher eine Frau geliebt, und er entdeckte plötzlich, daß es ganz anders ist, wenn man liebt. Im Bett und angesichts des Todes. Gott, betete er, von Panik ergriffen, ich habe es mir überlegt, von nun an werde ich jeden Patienten für jemanden halten, den ich liebe, nur hilf mir jetzt die richtigen Worte finden.
Sie sah aus dem Fenster.
»Wenn du wüßtest, daß ich in einem Autounfall getötet werden könnte, würdest du dir die kostbare Zeit versagen, die dir mit mir geblieben ist?« Es klang dünn, irgendwie gönnerhaft und durchaus nicht nach dem, was er zu sagen versucht hatte. Er sah, daß ihre Augen schimmerten, aber sie würde nicht weinen.
»Dr. Williams sagte mir, du hättest versucht, ihn auf eine Vorhersage festzunageln. In deinem Fall kannst du leicht an die hundert Jahre alt werden. Wir können fünfzig miteinander verleben.«
»Oder eines, Adam? Oder keines?«
»Oder eines. Stimmt. Vielleicht hast du nur noch ein Jahr zu leben«, sagte er rundheraus. »Aber verdammt, Gaby, siehst du denn nicht, was das Heute bedeutet? Wir leben am Beginn des Goldenen Zeitalters. Man nimmt bereits das menschliche Herz aus einem Körper und überträgt es in einen anderen. Und Nieren, und Hornhaut. Jetzt Lungen und Leber. Man arbeitet an einem kleinen Apparat, der in ganz kurzer Zeit das Herz ersetzen wird. Für einen Patienten ist heute jede Woche eine sehr lange Zeit. Irgendwo in dieser Welt macht ein Team von Menschen Fortschritte bei jedem nur denkbar wichtigen Problem.«
»Einschließlich aplastischer Anämie?«
»Einschließlich aplastischer Anämie und ordinären Schnupfens. Siehst du denn das nicht ein?« fragte er verzweifelt. »Hoffnung ist das Herz der Medizin. Ich habe das in diesem Jahr endlich gelernt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es hat keinen Sinn, Adam«, sagte sie leise. »Was wäre das für eine Ehe, wenn das über unseren Köpfen hinge? Nicht nur für dich. Auch für mich.«
»Über unseren Köpfen hängen solche Dinge auf alle Fälle. Die verfluchte Bombe kann morgen losgehen. Ich könnte nächstes Jahr sterben oder auf ein halbes Dutzend verschiedener Arten getötet werden. Es gibt keine Garantien dagegen. Du mußt einfach das Leben leben, solange du kannst, es in beide Hände nehmen und es bis auf den letzten Tropfen ausquetschen.«
Sie schwieg.
»Man braucht Zivilcourage dazu. Vielleicht ziehst du Ralphies Weg vor. Einfach abstellen. Das ist freilich leichter.«
Die Argumente gingen ihm aus. Er war erschöpft und leer und fuhr schweigend weiter, ohne zu wissen, wie er es ihr begreiflich machen sollte.
Dann bemerkten sie hoch über ihnen eine Versammlung von Möwen, die kreisten und kreischten und hinabstießen, als wären sie Falken. Entlang der Straßenseiten waren Autos geparkt.
»Was ist das?« fragte er.
»Vermutlich der Heringzug«, sagte sie.
Er parkte, sie stiegen aus und gingen ans Ufer. Adam hatte so etwas noch nie erlebt. Die Fische schwammen Körper an Körper, eine fast kompakte Masse, eine phantastische Flottille von Rückenflossen, die die Oberfläche des Wassers spalteten, darunter irisierten die grün-grausilbernen Leiber, die Bauchflossen fächelten anmutig, die gegabelten Schwänze, Hunderttausende gegabelter Schwänze, wogten in sanftem Rhythmus, während sie warteten – worauf?
»Was sind das für Fische?« fragte er.
»Alsenweibchen. Mein Großvater nahm mich jedes Frühjahr mit, um das zu sehen.«
Die Möwen schrien und hielten Festmähler ab. An den Ufern holten menschliche Räuber mit Netzen und Eimern, die ihr Ziel nicht verfehlen konnten, zappelnde Fische aus dem Strom. Einige Kinder bewarfen einander mit lebendigen Fischen.
Sowie eine Lücke in der Fischmasse entstand, wurde sie auch schon von den geduldigen, langsam schwimmenden, vom Meer heraufziehenden Leibern gefüllt.
»Woher kommen sie?« fragte er.
Sie zuckte die Achseln.
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