Die Klinik
sie den kalten Kuß eines Alkoholbausches auf ihrer Hüfte über der linken Backe und den Stich einer Nadel.
»Ist das alles?« fragte sie.
»Ich habe es noch nicht gemacht«, sagte er, und die Schwester kicherte. »Ich habe Ihnen nur etwas Novocain gegeben.«
»Warum? Wird es weh tun?«
»Ich werde Ihnen etwas Rückenmark entnehmen. Es wird ein bißchen unangenehm sein.«
Aber als er es tat, rang sie nach Luft, und Wasser schoß ihr in die Augen. »He!«
»Baby.« Er klatschte ein Pflaster auf die Stelle. »Kommen Sie in einer Stunde wieder«, sagte er ungerührt.
Sie wanderte durch die Läden, sah sich Möbel an, fand jedoch nichts, das ihr gefiel, und kaufte eine Geburtstagskarte für ihre Mutter.
Als sie in das Büro zurückkam, war Dr. Williams in Schreibarbeiten vertieft.
»Hallo. Ich möchte, daß Sie einige Bluttransfusionen bekommen.«
»Transfusionen?«
»Sie haben eine aplastische Anämie. Wissen Sie, was das bedeutet?«
Gaby faltete die Hände fest im Schoß. »Nein.«
»Ihr Knochenmark hat aus irgendeinem Grund aufgehört, genügend Blutzellen zu produzieren, und ist fettig degeneriert. Deshalb brauchen Sie Transfusionen.«
Sie überlegte. »Aber wenn ein Körper keine Blutzellen produziert…«
»Müssen wir sie durch Transfusionen ergänzen.«
Ihre Zunge fühlte sich seltsam an. »Ist die Krankheit tödlich?«
»Manchmal«, sagte er.
»Wie lange kann ein Mensch in meinem Zustand leben?«
»Oh… Jahre und Jahre.«
»Wie viele Jahre?«
»So etwas kann ich nicht voraussagen. Wir werden sehr hart arbeiten, um Sie durch die ersten drei bis sechs Monate zu bringen. Nachher geht’s dann fast immer aufwärts.«
»Aber diejenigen, die sterben. Die meisten sterben in drei bis sechs Monaten?«
Er sah sie verärgert an. »Bei so etwas muß man sich an die positiven Seiten halten. Sehr viele werden wieder ganz gesund. Warum sollten Sie nicht eine von Ihnen sein?«
»Wieviel Prozent werden gesund?« sagte sie und wußte, daß sie es ihm schwer machte, aber es war ihr egal.
»Zehn Prozent.«
»Nun ja.« Du lieber Gott, dachte sie.
Sie ging in die Wohnung zurück und saß da, ohne Licht zu machen, obwohl das einzige Fenster nicht genug Licht zum Lesen gab.
Niemand kam an die Tür. Das Telephon läutete nicht. Nach langer Zeit bemerkte sie, daß der winzige Sonnenfleck, der jeden Nachmittag drei Stunden lang auf die Avocadopflanze fiel, verschwunden war. Sie untersuchte die vergilbende Pflanze und erwog, ihr mehr Dünger und Wasser zu geben, entschied sich aber dann anders. Das war es ja eben, dachte sie; sie hatte sie überfüttert und durchweicht, zweifellos verfaulten die Wurzeln auf dem Grund des Topfes in einem winzigen Sumpf.
Kurze Zeit später sah sie Mrs. Krol über die Haupttreppe näher kommen, und nach einigen Sekunden packte sie die Avocadopflanze und beeilte sich, Mrs. Krol im Vorhaus einzuholen.
»Hier«, sagte sie. Bertha Krol sah sie an.
»Kümmern Sie sich um sie. Vielleicht wird sie für Sie wachsen. Stellen Sie sie in die Sonne. Verstehen Sie?«
Bertha Krol ließ nicht erkennen, ob sie verstanden hatte oder nicht. Mit starrem Blick stand sie wie angewurzelt da, bis Gaby sich abwandte und in ihre Wohnung zurückkehrte.
Sie saß auf dem Sofa und fragte sich, warum sie die Pflanze weggegeben hatte.
Schließlich begriff sie, daß sie zwar noch vor einem Augenblick mit dem Gedanken gespielt hatte, bis zum nächsten Morgen warten zu können, wenn Adam heimkam, jedoch genau gewußt hatte, daß sie nicht hier sein würde, wenn er kam.
Sie packte nur ihre Kleider ein. Alles andere ließ sie zurück. Als der Koffer geschlossen war, setzte sie sich nieder und schrieb einen Brief, hastig, aus Angst, daß sie ihn nicht würde schreiben können, wenn sie sich Zeit ließ. Sie legte ihn auf die Couch und beschwerte ihn mit der Papierblumenvase, so daß er ihn bestimmt nicht übersehen konnte.
Instinktiv floh sie aus der Stadt. Als sie es merkte, war sie auf Route 128, fuhr jedoch in die falsche Richtung, nordwärts nach North Hampshire. Wollte sie zu ihrem Vater? Nein, danke, dachte sie. In Stoneham fuhr sie auf die andere Seite der Autobahn, wieder südwärts, den Fuß auf das Gaspedal gedrückt. Weder der grobe Polizist, der ihr einmal auf dieser Strecke ein Strafmandat verpaßt hatte, noch einer seiner Kollegen tauchten auf, um sie zu demütigen, als sie den Plymouth in ein Geschoß verwandelte und ruhig zwischen den großen Betonpfeilern der Überführungen
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