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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Vierteljahrhundert gepflanzt hatte.
    Ein Regentropfen küßte ihn kalt auf die Stirn. Er fragte sich, ob das Todeskomitee, wenn die Zeit kam, entscheiden würde, daß das Versagen Harland Longwoods vermeidbar oder unvermeidlich gewesen war.
    Falls er durch irgendeinen Wiedergeburtstrick jener Konferenz Vorsitzen sollte, würde er die Verantwortung unzweideutig Dr. Longwood zuschreiben, dachte er.
    Für so viele falsche Entscheidungen. Erschüttert sah er es ganz deutlich:
    Die Krankengeschichte begann mit dem ersten Augenblick des verantwortungsbewußten Daseins.
    Und früher oder später – zuerst nur im Schneckentempo, dann aber mit verblüffender Schnelligkeit – kam für jeden Menschen der Augenblick, daß die Krankengeschichte abgeschlossen werden mußte. Und er stand vor der Summe seiner eigenen unvollkommenen Leistung.
    Und so anfechtbar, so schrecklich anfechtbar.
    Meine Herren, überlegen wir uns den Fall Longwood. Vermeidbar oder unvermeidlich?
    Als er wieder in den Wagen stieg, regnete es bereits so stark, als hätte sein Körper das Wasser vom Himmel heruntergezogen.
    Als er den Wagen wendete, beleuchteten die Scheinwerfer das Schild am Ende der Auffahrt, und er sah, daß die Bancrofts den Besitz an Leute namens Feldstein verkauft hatten.
    Er hoffte, daß die Feldsteins ebenso nett wie die Rosenfelds waren.
    Plötzlich begann er zu lachen, bis es ihn schüttelte und er den Wagen wieder am Straßenrand abstellen mußte.
    Oh, Frances, sagte er zu ihr, wie konnte ich, ohne es zu merken, zu diesem dummen, schlechtfunktionierenden alten Mann geworden sein?
    In der Erinnerung fühlte er sich innerlich noch immer als der selbe junge Mann, der nackt vor ihr gekniet war, als sie einander zum erstenmal geliebt hatten.
    Und nachdem er sein ganzes Leben lang ein solches Heiligtum angebetet hatte, konnte er nicht plötzlich an einen rettenden Gott zu glauben beginnen, einfach weil er es jetzt nötig hatte, gerettet zu werden.
    Und er konnte aber auch nicht – wurde ihm plötzlich erschreckend klar –, nachdem er sein ganzes Leben lang den Tod bekämpft hatte, sich jetzt selbst zum Tod verhelfen.
     
    Als er das Krankenhaus erreichte, fand er Kender noch immer im Nierenlabor, wo er mit dem jungen Silverstone Röntgenaufnahmen durchsah.
    »Ich möchte an die Maschine zurück«, sagte er.
    Kender studierte einen Film, den er hochhielt. »Sie sind alle für den Rest des Abends besetzt«, sagte er. »Ich kann Sie erst morgen anschließen.«
    »Wann?«
    »Oh, sagen wir, zehn Uhr. Wenn Sie mit der Maschine fertig sind, will ich, daß Sie eine Bluttransfusion bekommen.«
    Es war eine Feststellung, keine Bitte; Kender sprach zu einem Patienten, erkannte Longwood.
    »Wir glauben nicht, daß die Maschine auf die Dauer die Lösung für Sie ist«, sagte Kender. »Wir werden versuchen, Ihnen eine Niere zu verschaffen.«
    »Ich weiß, wie schwer es ist, Nierenempfänger zu wählen«, sagte Dr. Longwood steif. »Ich will keine Begünstigungen.«
    Dr. Kender lächelte. »Sie erhalten keine. Ihr Fall wurde auf Grund seines Interesses für Lehrzwecke durch das Transplantationskomitée ausgewählt, aber Sie haben eine seltene Blutgruppe, und natürlich kann es sehr lange dauern, bis wir einen Spender finden. Bis dahin werden Sie zuverlässig zweimal wöchentlich zur Behandlung mit der Maschine hier erscheinen.«
    Dr. Longwood nickte. »Gute Nacht«, sagte er.
    Draußen vor dem Laboratorium war dank den geschlossenen Türen das Geräusch der Maschine nicht zu hören, und es war still. Er hatte schon fast den Lift erreicht, als er die Tür öffnen und schließen und das Geräusch eiliger Schritte hörte.
    Als er sich umdrehte, sah er, daß es Silverstone war.
    »Sie haben das hier auf Dr. Kenders Tisch liegengelassen«, sagte Adam und hielt ihm die Phiole mit den Schlaftabletten hin.
    Longwood suchte in den Augen des Jüngeren nach Mitleid, fand aber nur wachsames Interesse. Gut, dachte er, der da könnte vielleicht einen Chirurgen abgeben.
    »Danke«, sagte er, als er die Flasche entgegennahm.
    »Ich werde vergeßlich.«

4
 
A D AM S I L V E RS T O NE
    Die Sechsunddreißig-Stunden-Schichten ließen die Tage und Nächte seltsam ineinanderfließen, so daß Silverstone in Zeiten zusätzlicher Arbeit nicht sicher war, ob es draußen dunkel oder hell war.
    Er entdeckte, daß das Suffolk County General etwas war, nach dem er unbewußt schon lange gesucht hatte.
    Das Krankenhaus war alt und schäbig, nicht so sauber, wie er es gern gehabt

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