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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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meinem Anruf beim Surgical Fellow? Dem Anruf, den ich bei dir machte, dachte er dumpf.
    Aber Meomartino kam zum Schluß und erzählte, wie die Rätseldame zum letztenmal ins Krankenhaus kam, tot.
    Dr. Sack beschrieb, was sie bei der Obduktion erfahren hatten, und legte die Ergebnisse in wenigen Minuten knapp und bündig dar.
    Dr. Longwood lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Einen solchen Fall zu verlieren ist das Schlimmste«, sagte er. »Dennoch verlieren wir immer wieder solche Patienten. Warum, glauben Sie, geschieht das, Dr. Robinson?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Die hohlen Augen hielten ihn fest. Er sah mit einer erschreckenden Faszination, daß ein schwacher Tremor Dr. Longwoods Kopf fast unmerklich zu schütteln begonnen hatte.
    »Es kommt daher, weil gerade ein solcher Fall verlangt, daß wir auch eine ungewöhnliche Verletzung erkennen, die uns nicht alle Tage begegnet. Eine Verletzung, die korrigierbar ist, die aber, wenn sie nicht korrigiert wird, den Tod verursachen kann.«
    »Ja«, sagte Spurgeon.
    »Niemand braucht mir zu erzählen, unter welchem Druck und welcher schweren Arbeitslast unsere Hausärzte stehen. Vor ziemlich vielen Jahren war ich hier Spitalsarzt und Facharztanwärter, dann Konsiliarchirurg, bis ich eine Ganztagsstellung in diesem Krankenhaus übernahm. Ich weiß, wir bekommen vernachlässigte Fälle, komplizierte, und sie werden uns in solcher Zahl aufgehalst, daß einige Privatinstitutionen einfach nicht glauben würden, was wir vollbringen.
    Aber es ist gerade die armselige Verfassung vieler unserer Patienten und die Anforderungen an unsere Zeit, die uns eine doppelte Aufmerksamkeit auferlegen, die es einem Spitalsarzt nicht ersparen, sich zu fragen, ob tatsächlich jeder diagnostische Vorgang, jede nötige Röntgenaufnahme durchgeführt wurde. Haben Sie sich diese Dinge gefragt, Dr. Robinson?«
    Der Tremor war stärker geworden. »Ja, das habe ich, Dr. Longwood«, sagte er fest.
    »Warum also ist diese Frau gestorben?«
    »Ich nehme an, ich wußte nicht genug, um ihr helfen zu können.«
    Dr. Longwood nickte. »Es fehlte Ihnen die Erfahrung. Und dies ist der Grund, warum ein Spitalsarzt es niemals auf sich nehmen sollte, einen Patienten aus diesem Krankenhaus zu entlassen, obwohl sich der Patient vielleicht bitter beklagt, daß man ihn warten läßt, bis ein erfahrenerer Arzt Zeit finden kann, ihn zu entlassen. Kein Patient ist je daran gestorben, weil er klagte. Wir sind dafür verantwortlich, ihn vor sich selbst zu schützen. Wissen, Sie, was geschehen wäre, wenn Sie die Frau nicht entlassen hätten?«
    Spurgeon suchte mit den Augen Meomartino, aber der Surgical Fellow war in die Krankengeschichte vertieft.
    »Sie würde noch leben«, sagte er.
    Alles schwieg, und er sah wieder Dr. Longwood an. Die tiefliegenden blauen Augen, die ihn die ganze Sitzung hindurch beunruhigt hatten, waren noch immer auf ihn gerichtet, aber er sah, daß ihr Glitzern verschwunden war und sie durch ihn hindurch auf etwas gerichtet waren, das nicht in diesem Zimmer lag.
    »Dr. Longwood?« sagte Dr. Kender. »Harland«, sagte Dr. Kender sanft. »Sollen wir abstimmen lassen?«
    »Wie?«
    »Sollen wir abstimmen lassen, Harland?«
    »Ja«, sagte er.
    »Ein vermeidbarer Tod«, sagte Dr. Kender.
    Dr. Longwood fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und sah Dr. Sack an.
    »Vermeidbar.« Dr. Parkhurst.
    »Vermeidbar.« Vermeidbar. Vermeidbar. Vermeidbar.
    Wieder versuchte Spurgeon, Meomartinos Augen einzufangen, vermochte es jedoch nicht. Es konnte auch unbeabsichtigt gewesen sein, sagte er sich, als er dasaß und Marcello Malpighis Porträt studierte.
     
    Als er in Silverstones Zimmer im sechsten Stock kam, dachte er, daß Adam in seiner Wut die Wände hochgehen würde.
    Eine Wut, die sich gegen Spurgeon richtete, entdeckte er erstaunt.
    »Wie konntest du Meomartino so etwas durchgehen lassen?«
    »Er hat mir nicht gesagt, ich solle sie entlassen. Es stimmt, daß ich ihn anrief, aber er hat mir nicht ein verdammtes Wort gesagt, Mensch. Er fragte mich nur, ob ich ihn wirklich brauchte, und ich sagte, ich könne selbst damit zurechtkommen.«
    »Aber du hast ihn angerufen«, sagte Adam. »Er hätte dir sagen müssen, daß du die Patientin festhalten sollst, bis er hinunterkommen könnte. Das Komitee hätte das gewußt.«
    Spurgeon zuckte die Achseln.
    »Ich gehe zum Alten.«
    »Es wäre mir lieber, wenn du es nicht tätest. Er sieht so schlecht aus, daß ich nicht sicher bin, ob er fähig ist, sich

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