Die Kluft: Roman (German Edition)
zunächst für lebendig, für irgendwelche Wesen. Doch es waren jene Unterstände, die die Zapfen erfunden hatten und die aus dem Schilf bestanden, das ganz in der Nähe in einem Sumpf an der Flussmündung wuchs. Das Schilf war hell und leuchtete in der Sonne, und sie sah, dass in den Eingängen Zapfen hockten, die sich sichtlich wohlfühlten.
Sie zwang sich, ganz langsam weiterzugehen, ohne zu wissen, wie sie ihnen zu verstehen geben sollte, dass sie nichts Böses im Sinn hatte. Dies waren die Wesen, die von Spalten gequält und gefoltert und sogar verstümmelt worden waren. Sie selbst hatte daran teilgehabt. Mittlerweile war sie entdeckt worden, und die Zapfen versammelten sich und beobachteten sie; sie konnte sehen, dass ihre Gesichter starr und ängstlich nach oben gewandt waren.
Sie stieg weiter hinab.
Etwas abseits von der Gruppe der Zapfen saßen zwei riesige Adler, und jeder war so groß wie sie selbst. Beide hackten auf großen Fischen herum. Sie sah zu, wie ein Junge mit einem Fisch aus dem Fluss stieg, den er für die Adler ins Gras legte, doch als er sie sah, rannte er zu seinen Freunden.
Die Zapfen bedrohten sie nicht, sondern lächelten ängstlich, denn sie waren genauso unsicher wie sie. Das Mädchen blieb vor ihnen stehen und wusste nicht, was sie tun sollte, und die Zapfen standen da und sahen sie an.
Sie starrte auf die Beulen an ihrer Vorderseite. Inzwischen wirkten sie nicht mehr so grauenhaft. Die Spalte hatte neugeborene Ungeheuer mit ihren riesigen, unverhältnismäßigen Schwellungen gesehen: ganz anders als hier, wie ihr auffiel.
Als sie sah, dass einige der älteren im Gegensatz zu anderen missgebildet waren, begriff sie nicht sofort, dass sie die Opfer der Spalten vor sich hatte, die inzwischen erwachsen und für immer entstellt waren.
Die Zapfen hatten einen Baumstamm herbeigeschleppt – vielleicht war er auch einfach umgefallen –, und weil die Spalte von dem für sie langen Weg müde war, ließ sie sich darauf nieder, um sich auszuruhen. Als sie saß, versammelten sich die Zapfen langsam um sie und starrten sie an, besonders ihre Mitte, die nackt war, weil es genau zwischen Vollmond und Vollmond war und zu dieser Zeit kein Blut floss.
Die Spalte konnte gut sehen, worin sie sich von ihnen unterschied; die Zapfen dagegen konnten bei ihr wenig sehen.
Einer, der erwachsen war, setzte sich neben sie auf den Baumstamm und starrte ihr ins Gesicht, auf die Brüste, die großen, schweren Brüste, auf ihre Mitte. Wissbegierig, wie sie war, streckte sie die Hand aus, um jenes fürchterliche Ding zu berühren, das dort vorstand und ihr schon immer ein Gräuel gewesen war, und sofort richtete es sich in ihrer Hand auf, und sie spürte, wie es pochte und pulsierte. Sie schien von einer Notwendigkeit getrieben, und wenig später waren sie und der Fremde vereint, und sein Schlauch war in ihr und erfüllte seinen Zweck.
Sie starrten einander ernst an – und trennten sich.
Schließlich saßen sie wieder nebeneinander und schauten sich an. Sie berührte neugierig die erschlaffte Röhre; und er betastete und erforschte sie.
Eltern, die sich für die Entwicklung ihrer Kinder so weit interessieren, dass sie bei Doktorspielen hereinplatzen, können sicher sagen, was dort vor sich ging: Sie haben dergleichen schon gesehen.
Zwei kleine Kinder stehen nackt da, weil gebadet wird oder die Kleider gewechselt werden, und schauen sich an. Es ist natürlich nicht das erste Mal, dass Bruder und Schwester sich nackt sehen, doch aus irgendeinem Grund haben die beiden gemerkt, dass sie sich voneinander unterscheiden.
»Warum hast du so ein
Ding
?«, fragt das Mädchen einigermaßen bockig – wir müssen uns einfach vorstellen, dass sich das, was im Tonfall der Kinder anklingt, auf die Erwachsenenzeit in weiter Ferne bezieht.
»Weil ich ein Junge bin«, verkündet das Kind und lässt seinen Worten eine Reihe von Posen folgen. Er schiebt das Becken vor und macht zuckende Bewegungen, die er offenbar mit irgendeinem Spiel in Verbindung bringt. Er zieht die Spitze des Penis nach unten und lässt sie schnipsend wieder los. Und dabei runzelt er die ganze Zeit kriegerisch die Stirn, was nicht auf seine Schwester, sondern vermutlich auf einen imaginären männlichen Gegner gemünzt ist.
Als das Mädchen all diese Errungenschaften sieht, die ihr sämtlich vorenthalten sind, runzelt sie ihrerseits die Stirn, schaut auf ihre Mitte hinab und sagt: »Ich bin aber hübscher als du.«
Nun runzelt der Junge wieder
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