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Die Kluft: Roman (German Edition)

Die Kluft: Roman (German Edition)

Titel: Die Kluft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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die Stirn, schaut auf ihre Spalte, die niemand bedrohlich oder auch nur auffällig finden kann, und fügt seinem Repertoire an großspurigen Kunststücken noch einige hinzu, indem er die Hoden in ihrem Sack wandern lässt.
    »Ich gefall mir viel besser, als du mir gefällst«, sagt das kleine Mädchen, geht aber auf den Bruder zu und sagt: »Lass mich mal anfassen.«
    Er schließt die Augen, hält die Luft an, erduldet, wie sie zieht und dreht, und sagt: »Jetzt lass mich anfassen.«
    Woraufhin er unsachgemäß die Vertiefungen ertastet und verkündet: »Dein Pipidings ist nicht so hübsch wie mein Pipidings.«
    »Mein Pipidings ist besser als dein Pipidings«, beharrt sie.
    Es sind zwei Sklavinnen im Zimmer, die Kindermädchen. Sie haben dieses Spiel (oder Vorspiel) mit wissendem, weltgewandtem Lächeln beobachtet, das sich auf den Ehemann der einen und den Liebhaber der anderen bezieht.
    Während der kleine Junge prahlt und angibt, tauschen sie Blicke, die besagen: »Was soll man von einem männlichen Wesen schon erwarten«, und beide machen den Eindruck, als wollten sie das Mädchen schützen, das immerhin ein Hymen zu bewahren hat.
    Eine sagt: »Eure Mutter wird böse, wenn sie euch sieht«, was dem Spiel ein rituelles Ende setzt.
    Sie lassen nicht sofort voneinander ab, denn der Junge zupft kurz am Haar des Mädchens und küsst sie dann schüchtern auf die Wange. Sie für ihren Teil umarmt ihn. Die Sklavinnen setzen das entsprechende Lächeln auf: Ach, was für süße kleine Dinger.
    Dieses Spielchen gibt es nur, solange das Mädchen ungefähr fünf und der Bruder ein bisschen jünger ist. Schon im nächsten Jahr werden die Kinder es wahrscheinlich nicht mehr spielen wollen.
    Sie wird dann lieber Bemuttern und Ernähren spielen, und er wird schon Legionär sein – ein Soldat.
     
    Ihr denkt vielleicht, dass ich über solche Szenen mit zu großer Selbstsicherheit schreibe. Und doch bin ich mir meiner Sache hier sicher, sicherer als bei vielen anderen Szenen, die ich zu beschreiben versucht habe. Nun muss ich auf einem scheinbaren Umweg, der sogar unerheblich wirken mag, erklären, wie das kommt.
    Ich habe ein junges Mädchen geheiratet, das meine Eltern billigten, und wir haben zwei Kinder bekommen – zwei Jungen. Ich war ehrgeizig, wollte Senator werden, arbeitete hart, pflegte die entsprechenden Verbindungen und hatte sehr wenig Zeit für meine Frau und noch weniger für die Jungen. Sie war eine bewundernswerte Mutter, und die Jungen achteten mich aus der Ferne. Ich tat für sie, was ich konnte, indem ich ihnen den Weg zum Militär ebnete, wo sie erfolgreich waren. Beide kamen im Kampf gegen die Germanenstämme ums Leben. Nach ihrem Tod bedauerte ich es, dass ich die jungen Männer, die jeder lobte, so wenig gekannt hatte. Ich glaube, es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Mann in seiner zweiten Ehe bereut, was er in der ersten versäumt hat. Ich dachte erst dann öfter über meine beiden Söhne nach, als es ihnen nichts mehr nutzte. Meine erste Frau starb. Ich lebte jahrelang allein. Ich wurde krank und brauchte lange, um mich zu erholen. Freunde besuchten mich, und man empfahl mir, wieder zu heiraten. Ich dachte an meine erste Frau und wusste, dass wir uns hätten lieben können, hätte ich nur Zeit dafür gehabt.
    Während meiner Genesungszeit kam Julia, ein Mädchen aus einem untergeordneten Zweig der Familie, um mich zu versorgen. Ich wusste, was dahintersteckte: Julias Mutter hoffte natürlich, dass ihr wohlhabender Verwandter »etwas für sie tun« würde, für ihre Kinder. Aber es waren so viele. Ich hatte die Erkenntnis gewonnen, dass es nicht lange dauert, bis ein Mann für die ganze Sippe sorgen muss, wenn er sich für ein Mitglied einer Großfamilie interessiert. Julia war angenehm, hübsch, fürsorglich und erwähnte ihre bedürftigen Schwestern und Brüder nicht. Ich genoss ihre Gesellschaft, ihre unverfälschte Schlichtheit, die frischen Beobachtungen eines gescheiten kleinen Mädchens aus der Provinz, das alles um sich herum betrachtete, als wollte es sich am Verhalten der Elite bilden. Ich kann mit Sicherheit und wahrhaftig sagen, dass sie mich mochte, wobei ich mich durchaus zur Wachsamkeit zwang, weil ich ständig vor Augen hatte, dass ein alter Mann nicht zu viel von einer äußerst attraktiven Frau erwarten darf, die nicht einmal halb so alt ist wie er. Plötzlich gingen junge Verwandte und junge Männer, die einen Förderer in mir sahen, bei mir ein und aus, und ich dachte, dass es nicht

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