Die Kluft: Roman (German Edition)
lange dauern würde, bis sie einen von ihnen heiraten und mir damit den einen oder anderen Stich versetzen würde: was – widersprüchlicherweise – daran lag, dass ich so oft an meine erste Frau und an all meine Versäumnisse dachte. Und an die Jungen, an diese wunderbaren jungen Männer, von deren Kindheit ich kaum etwas mitbekommen hatte.
Ich bat Julia, mich zu heiraten, und fügte hinzu, dass wir eine Abmachung treffen müssten. Sie würde mir zwei Kinder schenken, und ich würde darüber hinaus nichts von ihr verlangen und sie und die Kinder gut versorgen. Sie willigte ein, aber nicht ohne Zögern, denn sie hatte bemerkt, dass zahlreiche junge Männer sie begehrten. Die waren aber nicht reich, so wie ich. Und sie mochte mich, als Freund. Oder vielleicht als Tutor? Sie sagte mir, sie genieße es, mit mir zu reden und mir zuzuhören, denn: »Weißt du, ich lerne so viel dabei.« Sie war sehr ungebildet.
Und dann geschah etwas Unerwartetes. Ich war selbstverständlich davon ausgegangen, dass ein so frisches, rundliches Mädchen (»mein kleines Rebhuhn«) mühelos Kinder bekommen würde, doch ihre erste Schwangerschaft war schwierig und die Geburt noch schlimmer. Wie sie mir sagte, lag es wohl daran, dass sie als Kind einige Male schwer krank gewesen war und dass die Familie manchmal nicht genug zu essen gehabt hatte. Wenn sie mich gebeten hätte, ihr die zweite Hälfte unseres Handels, das zweite Kind, zu erlassen – ich wäre bereit gewesen, ihr zu verzeihen. Es war mir nicht leichtgefallen, sie so leiden zu sehen, und dann diese schwierige Geburt. Doch sie war ein ehrliches Mädchen, das Rebhuhn, und trug bald das zweite Kind aus, obwohl sie es auch mit diesem sehr schwer hatte.
Die beiden Kinder wurden gleich nach der Geburt in die Obhut der Sklavenmädchen gegeben, die im Flügel mit den Kinderzimmern arbeiteten – und ich glaube nicht, dass Julia anschließend noch einmal an sie dachte. Ich war nicht auf die Idee gekommen, als Teil des Handels zu vereinbaren: »Schenk mir zwei Kinder und sei ihnen eine Mutter.« Doch wenn ich sie der Gleichgültigkeit ihren Kindern gegenüber bezichtigte, sagte sie: »Es ist schon schlimm genug, Kind zu sein, ohne sich auch noch um Kinder kümmern zu müssen.« So erfuhr ich, dass sie das älteste Kind einer kränklichen, ausgelaugten Mutter gewesen war und ihren eigenen Geschwistern die Mutter ersetzen musste, unterstützt von einem unfähigen Mädchen, einer entlaufenen Sklavin von irgendeinem großen Gut, wo die Sklaven schlecht behandelt wurden. Julias Helferin konnte kaum unsere Sprache sprechen – sie war Griechin. Julia hatte sich geschworen, als Erwachsene auf jeden Fall nur einen Mann zu heiraten, der ihr Sklaven zur Verfügung stellen konnte. Ein ziemlich gewagter Eid, wenn man bettelarm ist und aus einem kleinen Städtchen stammt. Aber es erklärte, warum sie sich von ihrer Mutter zu mir schicken ließ, um mir ihre Dienste anzubieten.
Und es erklärte, warum sie gezögert hatte, mit mir die »Abmachung« zu treffen. Ein Kind oder sogar zwei zu bekommen war das Schwierigste, worum ich sie bitten konnte.
Sie sagte mir auch, sie empfinde keinerlei mütterliche Gefühle und habe nie welche empfunden. Sie hatte ihre Mutter gefragt, warum ausgerechnet sie die Kleinen immer füttern und waschen müsse, und ihre Brüder nie. Die Mutter hatte daraufhin erwidert, so sei es nun einmal. Man weiß nicht, was die griechische Sklavin über all das dachte – wahrscheinlich hat sich ohnehin niemand dafür interessiert.
Man hielt Julias ungezwungene Äußerungen allgemein für äußerst originell und kühn, ohne dass sie jedoch verstand, warum man darüber lachte oder sie lobte. Zu Anfang wollte sie mit Sicherheit niemanden schockieren oder überraschen, auch wenn sie sich den Ruf erwarb, gewitzt und frech zu sein. Bald verkehrte sie in Kreisen, in denen man den vorherrschenden Ton eines lebensüberdrüssigen Zynismus’ pflegte, und schließlich passte sie sich an: Was an ihr frisch und natürlich gewesen war, verwandelte sich in Gehabe; sie gab sich mit Leuten ab, die mir nicht gefielen, und von dem Kleinstadtmädchen mit der ganz eigenen Sicht auf das Leben blieb nicht mehr viel übrig.
Ich sagte ihr durchaus, dass meine Generation die ihre für egoistisch, genusssüchtig und unmoralisch hielt, verglichen mit Frauen wie meiner Mutter, die tugendhaft und für ihre Frömmigkeit und Charakterstärke bekannt waren. Julia schien sich für meine Kritik zu
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