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Die Kluft: Roman (German Edition)

Die Kluft: Roman (German Edition)

Titel: Die Kluft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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noch etwas über die Alte Weibliche zu sagen, die sich selbst ein Bild hatte machen wollen. Es dauerte einige Zeit, bis die Beulen und die blauen Flecken verheilt waren, und den Mädchen, die weggelaufen waren und sie ihrer Meinung nach dem Feind ausgeliefert hatten, verzieh sie nicht. Jene Mädchen verhöhnten die anderen, die in das Tal gingen und sich mit den Zapfen vereinigten, und obwohl immer mehr ihre Meinung änderten und sich den anderen, »Maires Mädchen«, anschlossen, kam es oft zu Feindseligkeiten und zu gehässigen Worten, die in den Annalen aufgezeichnet sind.
    Die anderen Alten Weiblichen Wesen wurden nicht erwähnt, nur die Anstifterin des Ausflugs auf den Berg – was auch immer sich daraus schließen lässt. Dieselbe Alte Weibliche war es auch, die jenen Plan ausheckte, der nicht nur die Zapfen oder die meisten von ihnen, sondern auch viele Mädchen hätte vernichten können. Doch nicht sofort. Zunächst musste sich ihr langsames altes Gehirn mit der Tatsache befassen, dass die Mädchen den Berg hinuntergerannt waren, weil sie sich davor fürchteten, dass ihnen Gewalt angetan wurde. Maire hatte zwar zu erklären versucht, wozu die »Ungeheuer« da waren, was ihre mögliche Funktion als Erzeuger war, doch die Alten begriffen das nicht. Es war tatsächlich schwer für sie. Zunächst hatte das Auftreten der Ungeheuer neue Kinder gebracht, die von sämtlichen alten Spalten abgelehnt und gefürchtet wurden. Und wenn die Ungeheuer den Spalten Gewalt antaten, entstanden daraus sowohl kleine Spalten als auch kleine Ungeheuer. Die kleinen Spalten waren zumindest Spalten, ob sie nun »schwierig« waren oder nicht, aber die Ungeheuer waren genau wie die, die sie auf dem Berggipfel gesehen hatten, Menschen, aber keine Spalten hinter den Schurzen aus Federn und Blättern.
    Es ist sehr interessant, was die Menschen »begreifen« und was nicht. Die Alten Weiblichen Wesen begriffen einfach nicht. In diese Gemeinschaft weiblicher Wesen, die an der Küste lebten, war zusammen mit dem Schatten der Männlichkeit ein neuerer, schnellerer Geist eingekehrt. Der alte, langsame, misstrauische Geist verstand nur eine schlichte Tatsache: An allem, was geschehen war, was das Alte verändert und zwischen verschiedenen Gruppen von Spalten Zwietracht und Bösartigkeit gesät hatte, waren die Ungeheuer schuld. So einfach war es: Die Ungeheuer waren der Feind. Und den musste man nun loswerden.
    Die Alte Weibliche schickte eins ihrer Mädchen, um Maire zu sich zu rufen. Sie nickte und lächelte Maire zu, die im Eingang zu ihrer Höhle saß. Maire nickte nur. Sie hatte es nicht eilig. Es sollte nicht den Anschein haben, dass sie den Alten Weiblichen Wesen zu Diensten war, von denen sie annahm, dass sie Schlechtes wünschten (und planten).
    Bei Maire waren die Neue und einige andere Kinder. Viele beobachteten, ob sie sofort zu der Alten Weiblichen ging. Maire tröstete die Kleinen, die wie immer lauthals zeterten. Unten auf den Felsen am Meer lagen in der Brandung jene Mädchen herum, die die Alten Weiblichen unterstützten. Sie sahen hasserfüllt zu Maire hinauf. Maire war für die Teilung des Stamms verantwortlich, für die schlechte Laune der Alten Weiblichen, für die neuen, anstrengenden Kinder. Und auf den Felsen über den Höhlen waren Jungen, die sie ebenfalls beobachteten. Maire konnte sich nicht erklären, warum sie dort waren, und ihre ohnehin große Besorgnis wurde noch größer. Sie hatte Angst um sie, wie sie inzwischen auch um die Sicherheit der neuen Kinder fürchtete.
    Man konnte nicht behaupten, dass jene weiblichen Wesen der Frühzeit besonders starke mütterliche Gefühle empfanden. Dass Kinder kostbar, vielversprechend oder bedrohlich waren, kam erst später auf.
    Maire dachte oft über die Kinder nach und auch über die Jungen im Tal. Was sie empfand, war im Grunde Mitleid oder ein zärtlicher Beschützerinstinkt, auch wenn ihr diese Vorstellungen – und die entsprechenden Worte – nicht zur Verfügung standen. Die armen Ungeheuer, die armen Jungen, sie taten ihr so leid. Es hätte ihren Empfindungen entsprochen, sie in die Arme zu nehmen und zu beschützen, wie sie es mit der Neuen tat. Sie und die verbündeten Mädchen lebten in hohen, luftigen Höhlen, die einen sauberen, sandigen Boden hatten und vor denen große Feuer brannten. Die Jungen, die so geschickt Feuer machen und hüten konnten, hatten ihnen gezeigt, wie man sie aufschichtete und am Brennen hielt. Währenddessen wohnten die armen Ungeheuer

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