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Die Kluft: Roman (German Edition)

Die Kluft: Roman (German Edition)

Titel: Die Kluft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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wollten sie nicht weitergehen. Wie viele es waren? »Einige«, heißt es. Langsam machten sie sich vom Todesfelsen aus auf den Weg, und langsam begaben sie sich zum Fuß des Berges. Dort begannen sie mit dem Aufstieg. Keines der Mädchen war je im Tal gewesen, allerdings hatten ein paar von ihnen die Alte Weibliche begleitet, als sie sich selbst ein Bild machen wollte. Doch damals waren sie so sehr damit beschäftigt gewesen, die Alte zu stützen und zu beruhigen, dass sie sonst kaum etwas wahrgenommen hatten. Sie kamen am Berg sehr langsam voran, vielleicht wegen der bedrohlich schreienden Adler. Oben angelangt, blieben sie stehen und blickten in das Tal mit dem furchterregenden Fluss hinab. Warum hielten sie wohl dort inne? Aus dem Tal drangen Jubel und Geschrei, und kurz darauf waren die Jungen zu ihnen hinaufgestürmt. Die Mädchen schoben die Brüste vor und wiegten sich verführerisch in den Hüften, die wahrscheinlich erstmalig zum Einsatz kamen. Nun zeigte sich endlich, dass die Alten begriffen hatten, was Maire ihnen gesagt hatte, zumindest eine von ihnen. Sie hatten den Mädchen befohlen, die Zapfen anzulocken, zu ködern. Aber mit welchem Ziel?
    Als die Jungen auf dem Gipfel erschienen, hatten die Mädchen schon mit dem Abstieg begonnen, um nicht mit ihnen zusammenzutreffen. Doch nachdem sie genauer hingesehen hatten, blieben sie überrascht stehen. Die Jungen trugen ihre schmalen Schurze aus Federn und Blättern. Jene Mädchen, die zuvor im Tal gewesen waren, hatten die Jungen nackt gesehen, in ihrer Gestalt als Ungeheuer. Nun aber war verborgen, was sie fürchteten und vielleicht auch begehrten. Die Mädchen erkannten die Zapfen tatsächlich kaum wieder, herausgeputzte, lächelnde männliche Wesen mit langen, aber glatt gekämmten Haaren. Maire hatten den Jungen aus Fischgräten hergestellte Kämme geschenkt und ihnen erklärt, wie man das Haar pflegte. Die Mädchen starrten die gut aussehenden männlichen Wesen an, ohne zu wissen, dass das, was sie empfanden, Bewunderung war. Statt also wegzulaufen und sich von den männlichen Wesen verfolgen zu lassen, blieben sie zunächst wie gelähmt vor Erstaunen stehen. Schließlich rannten sie allerdings doch den Hang hinunter davon, und die Jungen liefen ihnen nach und brüllten und schrien wie auf der Jagd nach einem Tier, das sie töten wollten. Sie rannten viel schneller als die langsamen Mädchen, holten sie allerdings nicht sofort ein, weil sie sich aus der Jagd einen Spaß machten.
    Und die Beobachterinnen auf ihrem Hügel sahen, wie die Mädchen, meist Verbündete der Alten, flohen, während die Jungen sie verfolgten.
    Maire und Astre und ihre Verbündeten nahmen sich Zeit, um all das zu verstehen.
    Inzwischen hatten alle, Verfolgte und Verfolger, den Todesfelsen erreicht, und die Jungen waren den Mädchen dicht auf den Fersen, als diese stehen blieben und sich umwandten. Nach allem, was sie von den Mädchen gehört hatten, die im Tal gewesen waren, wussten sie, dass ihnen nun Gewalt angetan werden würde, doch wenn man eine Penetration nie erlebt hat – egal ob einvernehmlich oder nicht –, was erwartet man dann? Jemandem Gewalt anzutun ist wie essen keine erworbene Fähigkeit. Die Mädchen waren unentschlossen: Man hatte ihnen befohlen, die Jungen anzulocken, und was jetzt?
    Die Beobachterinnen oben auf dem Hügel spürten, dass es Zeit wurde, hinunterzusteigen und einzugreifen, auch wenn sie nicht wussten, warum.
    Offenbar tauschten Mädchen und Jungen liebenswürdige Hänseleien aus. Die Jungen versuchten, nach den Mädchen zu greifen, besonders nach ihren Brüsten. Zum ersten Mal stand den Zapfen die gleiche Anzahl Mädchen gegenüber.
    Schließlich befreiten sich die Mädchen und gingen ohne Eile und offenbar ohne fliehen zu wollen auf den Pfad zu, der hinauf auf die Klippe führte, wo sich die Öffnung zu der Grube befand. Nun begriffen Maire und Astre und die anderen endlich. In jeder Geschichte über die Opferungen vergangener Zeiten wurden die faulen Gerüche, die der Grube entströmten, und die Höhlen an ihrem Fuß erwähnt, die tödlichen Dämpfe allerdings nicht immer. Doch wenn man hört, dass die Mädchen die Jungen an den Rand der Grube lockten, um sie hineinzustoßen, die Jungen aber wesentlich stärker waren als die Mädchen, fällt einem sofort ein: Natürlich, es heißt doch, dass dort tödliche Dämpfe waberten.
    Maire und Astre, die alles beobachtet hatten, rannten nun so schnell sie konnten. Sie sahen, dass die Jungen dazu

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