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Die Kluft: Roman (German Edition)

Die Kluft: Roman (German Edition)

Titel: Die Kluft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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machte sie tapfer und kampfeslustig. Als sie sich bis zu Maires und Astres Höhle vorgearbeitet hatten, blieben sie mit ihren Stöcken und Steinen im Eingang stehen. Das aufgestapelte Feuerholz erwies sich nun als nützlich.
    Als Maire und Astre zurückkehrten, sahen sie, dass ihre Mädchen mit Säuglingen und Kindern in ihrer Höhle waren und diese gegen viele feindliche Mädchen verteidigten, die davorstanden und sie verhöhnten und bedrohten, wobei sie von den Alten Weiblichen am Ufer angefeuert wurden.
    Die beiden Gruppen waren gleich stark: Davon muss man ausgehen, weil diese Schlacht weiterging, bis es dunkel wurde und man einander kaum noch sah. Nachdem Maire die Kinder in Sicherheit gebracht hatte, verließ sie die Höhle und lief zwischen den drohenden Mädchen hindurch zum Ufer und zu den Alten Weiblichen Wesen, die bereits wussten, dass eine von ihnen verschwunden war, jedoch nicht, wie und wo. Dort erzählte Maire den Alten Weiblichen, dass sie nicht mehr lange leben würden, wenn es zu weiteren Morden kam oder auch nur darüber geredet wurde. Bei der Schilderung dieser Szene spielt die Ankunft der Adler eine große Rolle, die direkt vom Todesfelsen kamen und sich nebeneinander auf der Klippe niederließen, um auf die Alten Weiblichen hinabzublicken. Drohend, wie es in der Erzählung heißt. Denn mittlerweile, so fährt der Erzähler fort, waren Maire und Astre für die Adler Freundinnen der Jungen und somit auch ihre Freundinnen. Die Episode kommt sowohl in unseren, den männlichen, als auch in den Aufzeichnungen der Spalten vor und trägt den Titel:
Die Ankunft der Adler
, was klingt, als wären die Alten Weiblichen dadurch eingeschüchtert und zumindest sichtlich gefügiger gemacht worden.
    Dennoch hielt Maire es für angebracht, die bei den anderen verhassten neuen Kinder von der gefährlichen Küste fortzubringen, zumindest für eine Weile. Also ging Maire, unbewaffnet bis auf die Autorität, die ihrem Wesen von Natur aus eigen war, zum Eingang ihrer Höhle zurück, ohne auf die feindseligen Mädchen zu achten, die Säuglinge und Kinder beschimpften, weil sie Lärm und »allen immer nur Ärger machten«, und rief den Belagerten zu, dass sie herauskommen sollten. Nachdem die befreundeten Mädchen erfahren hatten, wohin die Gruppe gehen wollte, zog diese am noch immer von Adlern besetzten Todesfelsen vorbei den Berg hinauf und schließlich hinunter in das Tal, wo sie schon erwartet wurde.
    Dort waren die Kinder in Sicherheit, vorausgesetzt, man passte gut auf sie auf, damit sie nicht in den Fluss fielen oder im Wald verschwanden.
    All diese Kinder hatten Geschichten von freundlichen Hirschkühen gehört, die Säuglinge fütterten, wenn keine erwachsene Spalte in der Nähe war, und es war schwer, diejenigen, die schon laufen konnten, vom Wald fernzuhalten.
    Man hat jenes Ereignis oder jene Ereignisse um die Verschwörung der Alten Weiblichen, ihre Pläne, die Jungen in die tödlichen Dämpfe der Kluft zu locken und ihre Absicht, von Maires Verbündeten so viele wie möglich zu töten und den Kindern zu schaden, so eindrücklich beschrieben, dass es jetzt noch lebendig wirkt. Danach gibt es für einige Zeit nichts Genaues oder Ausführliches mehr, nichts mehr vom
Damals
, das sich in einzelne Momente auflöste. Jener Tag vor so langer Zeit machte nicht nur auf die Geschichtenerzähler großen Eindruck, er prägte sich auch so tief in das Gedächtnis der Beteiligten ein, dass wir die Beteiligten immer noch vor Augen haben. Zumindest könnten wir das, wenn wir wüssten, wie jene Menschen, unsere fernen Vorfahren, wirklich ausgesehen haben.
     
    Und als wir die Worte lasen, die einst von Menschen ausgesprochen wurden, die jener Zeit weniger fern gewesen sind, stießen wir auf …
    »Und dann …« »Aber
wann

    »Als Nächstes …«
»Wonach?«
    »Bald …« »Wie lange danach …«
    Aber nun sind alle, nämlich jener Historiker, die Historiker davor und sämtliche Chronisten der Zukunft zum Innehalten gezwungen. Die Aufzeichnungen, gekritzelt und unvollständig und fehlerhaft, wie sie sind, erzählen so etwas wie eine Geschichte mit einer inneren Logik, die man nicht immer sofort bemerkt, die aber Wahrhaftigkeit zu garantieren scheint. Und dann – hörte die Geschichte einfach auf. Gewisse Themen wurden fortgesetzt, zum Beispiel das der Feindschaft zwischen den Alten und den Neuen. Und dass die beiden Arten von Menschen durch Worte und Taten zusammenwuchsen, die Spalten und ihre Abkömmlinge –

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