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Die Kluft: Roman (German Edition)

Die Kluft: Roman (German Edition)

Titel: Die Kluft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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die von der Wucht der Wellen hochgeschleudert worden waren. In leeren Höhlen schichteten sie große Feuer auf, um den Fisch zuzubereiten. Einige Tiere erreichten auf der Flucht vor dem Wind verzweifelt und verängstigt die Küste, und die Jungen konnten mit Pfeil und Bogen genügend erlegen, um alle satt zu machen. Doch die Frauen schienen sie für ihre Geschicklichkeit nicht zu bewundern. Und wie immer kamen Klagen über unaufgeräumte, stinkende Höhlen.
    Auch in ihrem Tal fanden sie nicht mehr zu ihrer gewohnten Gelassenheit zurück.
    Der große Wald, der immer wie ein Versprechen des Überflusses dagestanden hatte, war vom Wind über weite Strecken umgerissen worden. Man konnte kaum mehr hineingehen, weil er durch umgefallene Stämme und abgerissene Äste undurchdringlich geworden war. Die Tiere hatten gelitten, besonders die Vögel. Als die Jungen den Berg hinunterkamen, erkannten sie ihr Tal kaum wieder. Ihre Unterstände und Hütten waren umgeweht, oder Tiere hatten Schutz darin gesucht. Der Boden schien ganz aus Dung und aufgewühlter Erde zu bestehen. Dort, wo die Tiere zum Wasser gegangen waren, führte eine Spur vom zerstörten Wald zum Flussufer. Und weil der Wind das Wasser überall verteilt hatte, war der Boden um die Flussufer sumpfig, und aus den flachen Wellen ragten Schilf und Gras hervor.
    Die Jungen kehrten nicht zu den Höhlen zurück, sondern versuchten, ihr Lager in Ordnung zu bringen. Als sie einen Fisch zum Platz der Adler brachten, dauerte es lange, bis die Adler kamen. Sie waren froh, dass sie gefüttert wurden – der Lärm hatte einige zu Krüppeln gemacht und ihnen Flügel und Beine gebrochen. Die Jungen hatten noch nie Angst vor den großen Vögeln gehabt, versuchten, ihnen zu helfen und schickten sogar eine Nachricht zu den Höhlen, in der sie darum baten, jemanden zu senden, der etwas vom Heilen verstand. Von dieser Zeit an waren die weiblichen Wesen Freunde für die Adler, wie die Jungen auch.
    Und damals fingen alle an, sich Sorgen um die Kinder zu machen, Spalten wie Zapfen. Vielleicht ist dies sogar der Moment, um ein Fragment aus der Historie wiederzugeben. »Das Gerücht, dass die ersten männlichen Wesen bei ihrer Geburt Ungeheuer genannt und bisweilen schlecht behandelt oder sogar getötet wurden, muss man genau so verstehen – als Gerücht. Als Bericht, der so etwas wie eine tiefe psychologische Wahrheit zum Ausdruck bringt. Inzwischen geht man davon aus, dass unsere frühesten Vorfahren männlich waren, und wenn gefragt wird, wie sie sich fortpflanzten, lautet die Antwort, dass die Adler sie aus ihren Eiern ausbrüteten. Es muss schließlich einen Ursprung haben, dass in zahllosen Mythen über unsere Abstammung der Respekt für die großen Vögel zum Ausdruck kommt. Die Annahme, dass Adler oder selbst Hirsche unsere Ahnen waren, ist viel glaubhafter als jene, nach der die Menschen in ihren Anfängen gänzlich weiblich waren und die männlichen Wesen später hinzugekommen sind. Warum haben männliche Wesen eine Brust und Brustwarzen, wenn sie nicht früher einmal von praktischem Nutzen waren? Sie könnten durch den Nabel geboren haben. Es gibt allerhand Möglichkeiten, und alle sind glaubhafter als die, dass die weiblichen Wesen zuerst da gewesen sind. Und es ist von vornherein unglaubwürdig, dass männliche Wesen untergeordnete Ankömmlinge sein sollen: Es ist offensichtlich, dass männliche Wesen von Natur aus die ersten sind und von der ›Natur‹ so entwickelt wurden.«
    Dieses Fragment gehört natürlich in eine sehr viel spätere Zeit als alles andere, was wir besitzen. Es entstammt unserer Geschichtsschreibung – der männlichen.
    In sämtlichen Aufzeichnungen seit dem Lärm gibt es ein immer wiederkehrendes Thema, das Wissen um eine Bedrohung, eine Gefahr, die naturgegeben und unvermeidlich ist, und eines geht damit einher: die Angst um Neugeborene und kleine Kinder.
    Die Zeit, in der kleine Jungen die Angriffe einiger weiblicher Wesen zu fürchten hatten, war längst vorbei. Wenn ein kleines Ungeheuer geboren wurde, musste man es nicht sofort in das Tal bringen, damit es dort aufgezogen wurde. Die Jungen hatten von Anfang an bewiesen, dass sie die Säuglinge versorgen konnten – sie waren es gewesen, die der Hirschkuh beigebracht hatten, die Kleinen zu füttern, und ältere Jungen waren verantwortlich für sie. Manchmal passten Jungen auch auf kleine Spalten auf: Oft wollte ein kleines oder auch nicht mehr ganz so kleines Mädchen unbedingt im Tal bleiben,

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