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Die Kluft: Roman (German Edition)

Die Kluft: Roman (German Edition)

Titel: Die Kluft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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sie völlig erschöpft, jammerten und verhielten sich kurz gesagt wie Kinder, die nun einmal weinen und Wutanfälle und Launen haben. Weil sich die älteren Jungen beklagten, wurde die Anordnung aufgeweicht. Wenn die Jungen mit der Flotte aus kleinen Schiffen Schritt halten wollten, mussten sie an den Stränden entlangeilen, ohne weiter ins Inland vorzudringen, und manchmal musste die ganze Expedition tagelang warten, weil die Kinder einen Mangrovensumpf oder eine große Klippe zu überwinden hatten. Einige Male musste die »Flotte« anlegen und die kleinen Jungen um ein Hindernis herumfahren, und wenn es dazu kam, verlangten sie lautstark, wieder mit der Hauptgruppe in den improvisierten Booten reisen zu dürfen. Klagen und Tränen und Schwierigkeiten; es gibt aus jener Zeit Lieder, Spottlieder über tapfere Krieger, die ihren Abenteuern oft den Rücken kehren und sich um kleine Kinder kümmern mussten.
    Horsa hat seine Entscheidung sicher verflucht, Kinder überhaupt zuzulassen, ohne dass er diesen Gefühlen jedoch Ausdruck verlieh.
    Die Expedition war noch nicht besonders weit gekommen, als einige Mädchen zur Küste der Frauen zurückkehrten, und immer nahmen sie ein paar Jungen mit. Sie taten das zu ihrem Schutz, wegen der wilden Tiere, doch man darf annehmen, dass Horsa jedes Mal froh war, einen oder zwei oder mehrere Jungen loszuwerden. Und an der Küste der Frauen wurde es immer voller, lauter und aufreibender.
    Wenn Mädchen zurückkehrten, erzählten sie, es sei schwierig, mit Horsa zu reisen, nicht zuletzt, weil es nicht genügend Mädchen für alle Männer gebe. Hier wird – zum allerersten Mal in unserer Geschichtsschreibung – erwähnt, dass es Paare gab, anerkannte Paare. Das gefiel Horsa keineswegs; es führte zu Meinungsverschiedenheiten bis hin zu Streitereien und Kämpfen um die Mädchen.
    Horsa sei zu tyrannisch, sagten die Mädchen nach ihrer Rückkehr.
    Horsa … wer war er überhaupt? Zunächst hatte er – oder welcher Horsa auch immer – die Kämpfe zwischen den unterschiedlichen Parteien im Wald beendet, das Kommando übernommen und aus vielen Untergruppen ein Ganzes gemacht. »Der Wald wurde sicher«, heißt es in der Geschichtsschreibung der Frauen, »und wir konnten unbeschadet überall hingehen, vorausgesetzt, wir gingen in Gruppen.«
    Darin war Horsa sicher am besten: als hervorragender Befehlshaber, dem jeder bereitwillig gehorchte. Und anschließend organisierte er das Leben im Wald, indem er für die Sicherheit der kleinen Jungen in den Baumwipfeln sorgte und diejenigen aussuchte, die Jäger und Fährtenleser werden oder sich um die Lichtung, um Hütten und Anbauten und Feuer kümmern sollten. Die Raubtiere, die umherstreiften und alle belauerten, wurden auf Abstand gehalten. Und gleichzeitig war er auch jener Anführer, der die Expedition in die Katastrophe führte. Ob es sich um zwei verschiedene Personen gehandelt hat? Namen waren seinerzeit an Eigenschaften gebunden: Die Anführerin der Frauen hieß offenbar immer Maronna. Horsa war diplomatisch und taktvoll, was auch erforderlich war, wenn man viele Männer (wie viele?) befehligen wollte, aber er wusste nicht, wie er seine Expedition leiten sollte, die die Frauen verwegen, gefährlich, schlecht geplant und dumm fanden. Wie sich herausstellte, traf all das auf Horsas Abenteuer zu.
    Für lange Zeit, zumindest für die Dauer einer Schwangerschaft, waren die Meere, die die »Flotte« bereiste, sanft, heiter und warm. Einbäume und Baumstämme, Schilfbündel und Flöße fuhren fröhlich an den Stränden entlang, wo sie in Sichtweite der kleinen Jungen waren, und konnten ohne Weiteres auf dem warmen Sand anlegen, wenn die Männer etwas essen oder übernachten wollten. Alles war ganz einfach, damals am Anfang.
    Dann geschah etwas, das Horsa nicht verhindern konnte, obwohl er mit dieser Möglichkeit hatte rechnen müssen: Ein schwerer Sturm kam auf, und all die kleinen Boote, die die jungen Männer so bequem und angenehm dahingetragen hatten, wurden zerschmettert und nach dem Sturm zusammen mit anderen Trümmern an die Strände gespült. Es war keine große Herausforderung, ein kleines Boot wieder zusammenzufügen, also wurden ein paar wiederhergestellt, doch Horsa wollte nicht gleich wieder aufbrechen. Also lagerten alle an den Stränden, entzündeten große Feuer, jagten im Wald, bereiteten Fleisch zu, schickten einzelne Gruppen ins Inland, um Früchte und Gemüse zu holen – und schienen zu warten. Aber auf was? Tatsache

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