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Die Kluft: Roman (German Edition)

Die Kluft: Roman (German Edition)

Titel: Die Kluft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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gesagt haben, dass die Mädchen, die du mitnimmst, schwanger werden?«
    Man stelle sich die Schelte und die Worte vor: »… und was gedenkt ihr jetzt zu tun?«
    Ein Neugeborenes starb. An jenem Strand lebte eine bestimmte Fliegenart, gelbliche Fliegen, die sich in Schwärmen überall niederließen, wo sie Futter finden konnten – auf vom Meer angeschwemmtem Unrat, auf verrottendem Fisch, toten Seetieren oder Seevögeln, auf Seegras und mit Einbruch der Dunkelheit auf den fast nackten Körpern der Jungen und Männer, die daran dachten, dass ihre Schurze aus Federn und Blättern durchaus einen Zweck hatten.
    Die Feuer wurden so hoch aufgeschichtet, dass sie besonders heiß brannten, und alle versammelten sich so dicht wie möglich darum. Weil das Kind, das schließlich starb, von den Stichen ganz verschwollen war, versuchten die Mädchen, ihre Säuglinge in Sicherheit zu bringen, indem sie sie ständig in den Wellen badeten – doch das ließ ihre Haut schrumpeln, und sie entzündete sich.
    Horsa ordnete den Aufbruch an, aber nur, um an einen anderen Strand zu ziehen, wo es keine Fliegen gab. Ein Sandstrand ist wie der andere, was die Annehmlichkeiten betrifft.
    Doch die Säuglinge weinten und greinten, und die Mädchen beklagten sich. Sie waren mitgekommen, weil sie sich gern mit den Männern vereinigten und mit ihnen zusammen waren, doch nun hatten sie damit nichts mehr im Sinn und wollten den Männern und Jungen keine Erleichterung verschaffen.
    Wozu sind sie dann gut?, murrten die Jungen. »Wieso?«, wandten die Mädchen ein. »Machen wir nicht eine neue Generation von Menschen?«
    Das sind aber grässliche Quälgeister, sagten die Jungen.
    Sie hatten einen so weiten Weg zurückgelegt, dem Zeitmaß nach mindestens neun Monate lang, auch wenn es unterwegs zu Pausen und Verzögerungen gekommen war. Und die Entfernung – doch wie man die maß, wussten sie nicht.
    Wie lange sie wohl für die Rückkehr brauchen würden? Rückkehr wohin? Auf die Waldlichtung? Zu den Bäumen, von denen sie träumten? Was für eine wunderbare Zeit das gewesen war, im Schutz der großen Bäume. Viele Männer und Jungen sagten, es sei Wahnsinn gewesen, überhaupt fortzugehen. Schließlich brauchte man nur gut bewaffnete Wachen um die Lichtung herum, die angriffslustige Schweine und herumschleichende Katzen fernhielten.
    Doch aus irgendeinem Grund wollte keiner zurück: Eine Reise musste irgendwohin führen, man musste etwas finden, entdecken, in Besitz nehmen … Murren half da nicht weiter. Was also sollten sie tun?
    Als ein weiteres Kind starb, kam zu dem Schreien der Neugeborenen auch noch das Weinen der Frauen hinzu. Die Jungen konnten sich nicht erinnern, dass Kinder an Krankheiten gestorben waren. Aber es
war
doch so, dass eine Krankheit die Säuglinge dahinraffte?
    Die Mädchen, die ihre Kinder verloren hatten, waren teilnahmslos und heulten oder lagen mit verdeckten Gesichtern herum und litten still … und von ihren Brüsten tropfte Milch. Oh, wie schrecklich, wie unschicklich, und die Jungen zeigten ihr Missfallen, denn diese Mädchen hatten doch wie die Jungen ihre Abenteuer geteilt und waren Kameradinnen gewesen. Nun verdarben sie alles, indem sie schwanger wurden, und dann auch noch all das unangenehme Gejammere und Geweine. Was die ganz kleinen Jungen anging – sie waren empört.
    Wie viel schöner war es im Wald gewesen, nicht weit von der Küste der Frauen. Die Mädchen besuchten sie, erhielten, weshalb sie gekommen waren – Leben zu empfangen –, und gingen anschließend wieder nach Hause, und neue Mädchen kamen, und alle waren hilfsbereit und machten sich nützlich, denn man konnte sie gut gebrauchen auf der Lichtung, besonders, wenn es um gebrochene Glieder und belanglose Krankheiten ging. Und was war nun aus ihnen geworden? Entweder waren sie rundum mit ihren lärmenden Säuglingen beschäftigt, oder sie lagen still und unglücklich da. Und zu den Jungen waren sie auch nicht nett.
    Hier kam es in der Geschichtsschreibung zu einem Stillstand. Horsas Expedition und die Zerstörung der Kluft stellten ein Ende dar. Doch es war auch ein Anfang, und zwar, was die Dörfer im Wald betraf. Damals wusste man allerdings noch nicht, dass es einmal Dörfer geben würde. Die Chronisten wussten es nicht. Mit den Worten: »Horsa wusste nicht, wo er sich befand« endet ein langer Abschnitt in der Geschichtsschreibung.
    Wir sind doch alle gleich! Ich merke es, wenn ein Historiker auf eine Zeit zurückblickt, die ihm fern

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