Die Knoblauchrevolte
Wasser holen. Deine Kuh und mein Esel müssen auch zu trinken und zu fressen bekommen. Wir haben es noch weit.«
Schweigend hielt Onkel Vier die Kuh an und lenkte seinen Karren an den Straßenrand. Gao Yang holte einen Blecheimer vom Eselskarren und ging in Richtung der Laterne. Er stieß auf einen fußbreiten Pfad, der durch kniehohen Mais führte. Die Maisblätter streiften seine Beine und den Blecheimer in seiner Hand. Die Lampe war trübe. Sie mußte etwa zwei Pfeilschüsse von der Straße entfernt sein, aber es war schwierig, sich ihr zu nähern. Auch das Tuckern des Dieselmotors und das Plätschern des Wassers klangen so, als ob sie immer gleich weit entfernt blieben. Manchmal verschwand der Pfad, dann ging Gao Yang über das Feld und setzte seine Füße ganz vorsichtig, um nicht fremdes Getreide niederzutreten. Durch die Sohlen seiner abgetragenen Schuhe hindurch konnte er spüren, daß der Boden hier in der Nähe der Kreisstadt viel fetter war als in seinem Heimatdorf. Der Pfad kam wieder zum Vorschein, und nach ein paar Schritten wurde er so breit, daß zur Not sogar ein Pferdekarren darauf gepaßt hätte. Zu beiden Seiten des Weges lagen flache Bewässerungskanäle, neben denen sich gewellte Felder hinzogen. Er nahm die unverwechselbaren Gerüche von Baumwolle, Erdnüssen, Mais und Sorghum wahr.
Die trübgelbe Petroleumlampe leuchtete plötzlich viel heller. Auch das Plätschern des Wassers und das Tuckern der Maschine waren deutlicher zu hören. Daß man auch ihn gut wahrnehmen konnte, machte Gao Yang scheu und befangen.
Er ging auf die Petroleumlampe zu, die an einem senkrechten Holzpfahl neben einem aufgebockten, zwölf PS starken Dieselmotor hing. Der Keilriemen drehte sich so schnell, daß er stillzustehen schien. Nur die immer wieder vorbeiflitzende Metallklammer bewies, daß der Motor seine Arbeit tat und seine Pferdestärken nicht grundlos brummen ließ. Ein dicker Gummischlauch steckte in einem Brunnen, aus dem der Motor das Wasser hochpumpte, um es weiß schäumend aus dem Hahn der Pumpe herausspritzen zu lassen. Auf dem Boden war eine Plastikfolie ausgebreitet, neben der ein Paar einfache Sandalen stand. Von Menschen war nichts zu sehen. Er starrte angestrengt in die Dunkelheit, aber er nahm nur den Geruch des jungen Maises wahr.
»Wer ist da?« fragte eine Stimme aus der Dunkelheit.
»Ein Wanderer, der um etwas Wasser bittet«, antwortete Gao Yang.
Die Maisblätter teilten sich raschelnd, und ein großer Mann mit einem Spaten auf der Schulter trat ins Licht. Er blieb vor der Pumpe stehen und hielt seine schlammbedeckten Füße unter den kräftigen Wasserstrahl. Als seine Füße sauber waren, reinigte er den lehmverkrusteten Spaten, bis dessen nasses Blatt kalt glänzte. Der Mann sprang über den Bewässerungsgraben, stach den Spaten in die Erde und blieb stehen.
»Trink dich satt.«
Gao Yang lief zum Brunnen, kniete sich hin und hielt den Mund in den Strahl. Der Wasserdruck betäubte seine Lippen, und das Trinken verursachte ihm Schmerzen in der Brust. Nachdem er sich satt getrunken hatte, wusch er sich das Gesicht und füllte den Eimer mit Wasser. Dann kehrte er zur Petroleumlampe zurück.
Der Mann musterte ihn von Kopf bis Fuß, und Gao Yang erwiderte seinen Blick. Er war ein selbstbewußt wirkender junger Mann, der ein kurzärmeliges Hemd und eine Uniformhose trug. Eine glänzende Armbanduhr hing an seinem Gürtel. Er machte die Uhr los, um die Zeit abzulesen, und streifte sie sich übers Handgelenk. »Was machst du noch so spät?«
»Knoblauchstengel verkaufen«, erklärte Gao Yang. »Ich habe den ganzen Tag keinen Tropfen getrunken. Ich habe die Pumpe gehört und bin hierhergekommen.«
»Aus welchem Dorf bist du?«
»Aus dem Dorf Hohe Spur.«
»Das ist aber recht weit. Hat eure Genossenschaft keine Ankaufstelle eingerichtet?«
»Die Genossenschaft kümmert sich nicht um so was. Sie wollen nur Kunstdünger verkaufen.«
»Das ist normal«, sagte der junge Mann lachend. »Heutzutage dreht sich alles ums Geld. Hast du Knoblauch verkauft?«
»Nein, als ich an der Reihe war, hieß es, im Kühlhaus wäre kein Platz mehr und sie müßten den Ankauf vorübergehend einstellen. Wenn es sicher wäre, daß sie morgen wieder kaufen, würde ich über Nacht dort bleiben, anstatt nach Hause zu gehen. Aber niemand weiß, wann sie wieder wiegen können.«
Eigentlich wollte er nicht mehr sagen, aber er konnte es nicht für sich behalten. »Es hat dort Unruhen gegeben. Die Waagen wurden
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