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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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wertloser. Schweinefleisch ist in sechs Monaten neunzig Fen teurer geworden. Jedes Pfund kostet jetzt neunzig Fen mehr. Wir essen so gut wie gar kein Schweinefleisch mehr.«
    »Trotzdem stehst du gut da, wenn deine Kuh jedes Jahr ein Kalb zur Welt bringt. Und wenn das Kalb weiblich ist, hast du eine zusätzliche Kuh umsonst bekommen. Rinder züchten ist eine gute Sache, besser als Knoblauch anbauen.«
    »Du siehst nur den Profit«, sagte Onkel Vier. »Glaubst du, die Kuh muß ihren Kopf nur in den Wind halten, um ein Kalb auszutragen? Braucht sie nicht Gras und Futter?«
    Die Nacht schritt fort, schweigend schwankten Eselswagen und Ochsenkarren vorwärts. Gao Yang fühlte sich völlig erschöpft. Ohne auf den Esel Rücksicht zu nehmen, setzte er sich auf die Deichsel und lehnte sich gegen die Wagenkante. Seine Augenlider wurden klebrig und schwer, er mußte aufpassen, daß er nicht einschlief.
    Sie kamen wieder durch das Ödland. Das Gebüsch am Straßenrand sah noch genau so aus wie vergangene Nacht, nur der Mond war noch nicht aufgegangen, so daß die Blätter nicht schimmerten. Gleichgeblieben war auch das unermüdliche Gezirpe der Heuschrecken, Grillen und anderen stimmgewaltigen Insektenarten.
    Als es bergauf ging, schnaufte der Esel wie ein alter Mann mit Luftröhrenkatarrh. Gao Yang sprang vom Wagen, und das Schnaufen des Esels wurde etwas besser. Onkel Vier blieb auf seinem Karren sitzen. Ihm war es egal, wie die trächtige Kuh die Steigung bewältigte. Gao Yang fröstelte innerlich. Er spürte, daß Onkel Vier ein hartherziger Mann war, und er nahm sich vor, in Zukunft sowenig Umgang wie möglich mit solchen Menschen zu haben.
    Sie hatten etwa die Hälfte der langen Steigung hinter sich, als der Mond aus der weit im Osten liegenden Tiefebene aufstieg. Nach der ihm eigenen Gesetzmäßigkeit ging er heute etwas später auf und war auch etwas kleiner als in der vergangenen Nacht. Er war blaßgelb und zartrot, ein blaßgelber, zartroter, dünner, trüber, schwacher, schläfriger und undeutlicher Halbmond, der kleiner war als in der letzten Nacht, aber immer noch etwas größer, als er morgen sein würde.
    Seine Strahlen waren so schwach, daß es schien, als ob sie nicht ganz bis auf dieses Ödland, das Gebüsch und die Asphaltstraße hinabreichten. Gao Yang schlug dem Esel mit der flachen Hand auf den schweißnassen Rücken. Die Räder des Wagens drehten sich langsam, die ungeölte Achse quietschte. Onkel Vier sang zuweilen ein paar Verse aus einem schlüpfrigen Lied und hörte ebenso plötzlich wieder auf. So unerwartet seine Lieder begannen, so überraschend endeten sie auch. In Wirklichkeit reichten die Strahlen des Mondes doch bis zu ihnen herab. Was ließ die Blätter auf den Büschen glänzen, wenn nicht der Mondschein? Was ließ die Flügel der Grillen wie Glasscherben glitzern, wenn nicht das Mondlicht? Und war es nicht der warme Hauch des Mondscheins, der sich über den kühlen Geruch der Knoblauchstengel legte? Im Tal lagerten Nebelbänke, hier oben wehte ein frischer Wind. Ohne erkennbaren Anlaß begann Onkel Vier plötzlich zu schimpfen: »Du Hurensohn, du Schweinehund! Kaum ziehst du die Hosen hoch, hältst du dich für einen Heiligen!«
    Gao Yang wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Auf der Anhöhe strahlten zwei sehr helle Lichter auf. Sie leuchteten mal hoch, mal tief, mal links, mal rechts, wie eine Schere beim Zuschneiden durch den Stoff geht. Dann hörte man das Geräusch des Motors. Die Bäume und Grasbüschel zu beiden Seiten der Straße wurden in helles Licht getaucht. Gao Yang nahm den Kopf des Esels, der am ganzen Leib mit Schweiß bedeckt war, fest in die Arme und drängte ihn mitsamt dem Wagen an den Rand der Straße. Im Strahl der Scheinwerfer wirkte Onkel Viers Kuh so mager wie ein Kaninchen. Onkel Vier sprang vom Karren, packte die Kuh am Nasenseil und drängte seinen Karren zur Seite.
    Die Scheinwerfer machten sie fast blind. Ein schwarzes Ungetüm mit weitgeöffneten Augen sprang sie an, eine Schreckgestalt, die selbst Leoparden in die Flucht geschlagen hätte. Was nun kam, hatte etwas von einem Witz, etwas von einem Traum und etwas von Scheißen und Pissen zugleich.
    Wie eine Lawine stürzte der Wagen auf sie herab. Unter gewaltigem Lärm wurden Onkel Viers Kuh, der Ochsenkarren, seine Knoblauchstengel und Onkel Vier selbst von der Dunkelheit verschluckt. Als Gao Yang die Augen wieder aufmachte, sah er zwei Gesichter hinter einer Glasscheibe: das lächelnde eines Dicken

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