Die Knoblauchrevolte
an. Sie nahm es entgegen, berührte aber nur den Rand der Schale mit den Lippen und setzte sie wieder ab. Gao Ma sagte: »Hab keine Angst, es kann kein Mensch kommen. Und selbst wenn jemand käme, was hätten wir zu fürchten? Wir haben die besten Absichten.«
»Ich habe es mitgebracht.« Jinjü holte ein zusammengefaltetes rotes Papier aus der Tasche und warf es auf den Tisch. Dann ließ sie sich aufs Ofenbett sinken, vergrub ihr Gesicht in der Armbeuge und weinte.
Gao Ma klopfte ihr leicht auf den Rücken und redete ihr gut zu, aber seine Worte zeigten keine Wirkung. Da nahm er das Papier vom Tisch, faltete es auseinander und studierte das mit ein paar Dutzend schwarzer Schriftzeichen bedeckte Dokument:
»Am 10. Juni des Jahres 1985, einem Glückstag, wird vertraglich vereinbart, daß Liu Jiaqings ältester Enkelsohn Liu Shengli und Fang Yünqius Tochter Fang Jinjü, Cao Jinzhus jüngste Tochter Cao Wenling und Fang Yünqius ältester Sohn Fang Yijün, Liu Jiaqings jüngste Enkeltochter Liu Lanlan und Cao Jinzhus ältester Sohn Cao Wen die Ehe eingehen und eine unverbrüchliche Bindung zwischen den drei Familien herstellen, die Bestand haben soll, selbst wenn die Flüsse vertrocknen und die Meere verdunsten. Die Vertragsunterzeichner: Liu Jiaqing, Fang Yünqiu, Cao Jinzhu.«
Neben ihre Unterschriften hatten die Vertragspartner noch drei große, schwarze Fingerabdrücke gesetzt.
Gao Ma faltete den Heiratsvertrag wieder zusammen und steckte ihn ein.
Er zog die Schublade auf und nahm ein kleines Heft heraus. Er erklärte:
»Weine nicht, Jinjü, ich lese dir jetzt das Ehegesetz vor. Artikel drei: Verboten sind Handlungen des Kaufs und Verkaufs von Ehepartnern, der Festlegung der Ehepartner durch die Eltern und der Einmischung in die Freiheit der Eheschließung. Artikel vier: Die Eheschließung muß auf dem eigenen Entschluß beider Partner beruhen, keiner anderen Seite ist es erlaubt, auf sie Zwang auszuüben oder sich in ihre Entscheidung einzumischen. Das ist das staatliche Gesetz. Es hat sehr viel mehr Gültigkeit als dieser Fetzen Papier. Du kannst wirklich völlig unbesorgt sein.«
Jinjü stand auf, wischte sich mit dem Jackenärmel die Augen und sagte: »Ich habe nicht den Mut, so etwas meinem Vater und meiner Mutter ins Gesicht zu sagen.«
»Was soll daran schwierig sein? Du sagst einfach: Vater, Mutter, ich kann Liu Shengli nicht ausstehen. Ich will ihn nicht heiraten.«
»Du hast gut reden. Ich möchte dich an meiner Stelle sehen.«
»Glaubst du, ich tue das nicht?« fragte Gao Ma empört. »Heute abend komme ich und erkläre alles. Dein Vater und deine Brüder werden mich ja wohl nicht gleich erschlagen.«
Am Abend war das Wetter schwül, der Himmel voller Wolken, kein Windhauch regte sich. Gao Ma schlang rasch ein paar Essensreste hinunter. Dann ging er zum Sanddeich hinter seinem Haus. In seinem Herzen war plötzlich eine große Leere. Die untergehende Sonne hatte die Gestalt einer aufgeschnittenen roten Wassermelone. Die Wolkenfetzen am Himmelsrand verschmolzen mit den Wipfeln der Weiden und Akazien zu einem breiten Streifen Rot. Kein Hauch war zu spüren. Der Küchenrauch aus den Bauernhäusern stieg senkrecht in die Luft und bildete viele kerzengerade Säulen, die hoch aufragten und erst ganz oben auseinanderliefen und sich vereinigten. Er zögerte. Sollte er wirklich zu Jinjüs Familie gehen? Wenn ja, was sollte er ihnen sagen? Die bösen dunklen Visagen der beiden Brüder Fang standen ihm vor Augen, ebenso Jinjüs tränenüberströmtes Gesicht. Er verließ den Sanddeich und ging die Gasse hinunter nach Süden. Normalerweise war diese Gasse sehr lang, aber heute kam sie ihm ganz kurz vor. Nach ein paar Schritten war sie schon zu Ende. Er hätte sie sich länger gewünscht, wenigstens noch ein Stückchen länger.
Als er vor Jinjüs Hoftor stehenblieb, war sein Herz immer noch leer. Er hob einige Male die Hand und ließ sie wieder sinken. In der Abenddämmerung kreischten Gao Zhilengs Papageien durchdringend. Es klang, als ob sie sich über ihn aufregten. Das dattelbraune Fohlen kam über den Dreschplatz gelaufen. An seinem Hals hing jetzt ein hell klingelndes Glöckchen. In der Ferne wieherte die Mutterstute. Das braune Fohlen schoß davon wie ein Pfeil und ließ den Nachhall seiner Glockentöne auf der Tenne zurück.
Gao Ma biß die Zähne zusammen, immer noch schwindlig im Kopf, und klopfte an das Tor.
Jinjüs zweiter Bruder Fang Yixiang, ein unbedachter, junger Hitzkopf, machte auf.
Er
Weitere Kostenlose Bücher