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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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schneller gewesen wärst«, erwiderte der Polizist, dessen Schädel an eine Hüfttrommel erinnerte, »hättest du auch die zweite Hand erwischt. Mit beiden Händen in Eisen hätte er niemals weglaufen können.«
    »An allem ist dieser Kerl schuld.« Der stotternde Polizist setzte seine Mütze auf, fuhr mit der freien Hand fast streichelnd über Gao Yangs Glatze und klatschte sie ihm dann auf den Kopf.
    »Papa, Papa, warum sagst du nichts?« schrie Xinghua.
    Mit dem Bambusstock streifte sie Akazien, mit der linken Hand tastete sie sich zwischen Bäumen hindurch und stieß sich dabei den Kopf an einem Ast. Ihr kurzgeschnittenes Haar war wie bei einem Jungen durch einen Scheitel geteilt. Ihre Augen waren lackschwarz. In ihrem unterernährten Gesicht schimmerte es weiß durch die gelbliche Hautfarbe. So sahen verwesende Knoblauchsprossen aus. Ihr Oberkörper war nackt, sie hatte bloß eine hellrote kurze Hose an, deren Gummiband so ausgeleiert war, daß sie lose auf den Hüftknochen saß. An den Füßen trug sie rote Plastiksandalen, deren Riemen schon gerissen waren. »Papa, Papa, warum sagst du nichts?« Der Akazienwald war wie eine dunkle Wolke, aus der als einziger Blickfang die rote Hose des Mädchens in die Augen stach. Gao Yang wollte seiner Tochter eine Antwort zurufen, aber seine Kehle war wie zugeschnürt, und er brachte keinen Ton hervor. Ich weine nicht, ich weine nicht.
    Der stotternde Polizist schlug ihm noch einmal mit der flachen Hand auf den Kopf. Gao Yang spürte es kaum. Die Polizisten beobachteten, wie er wütend seinen Körper hin und her warf und laut stöhnte. Der durchsichtige, klebrige Schweiß auf seinem Körper strömte einen sonderbaren, abstoßenden Geruch aus. Es war der bittere Geruch getrockneter Heilpflanzen. Die Polizisten rümpften die Nase und machten ein angewidertes Gesicht. »Papa, Papa, warum sagst du nichts?«
    Brüderlein, Schwesterlein, reicht mir eure Hände. Lasset uns singen, lasset uns springen, rundherum, das ist nicht schwer. Xinghua stand auf der Straße, auf den Bambusstab gestützt. Dann bewegte sie sich auf den Zaun des Schulhofs zu. Den Stock in der einen Hand, hielt sie sich mit der anderen am Eisengitter fest. Sie hörte, wie die Kinder in der Schule mit ihrer Lehrerin tanzten und sangen. Im Schulhof blühten die Chrysanthemen. Gao Yang packte Xinghua am Arm, um sie nach Hause zu führen. Sie machte ihren Körper steif und sträubte sich. Er hatte sie angeschrien und ihr einen Fußtritt versetzt. Jetzt brachte er keinen Ton hervor. In hilfloser Wut biß er in die Rinde der Akazie. Lieber Papa, liebe Mama, reicht mir eure Hände. Laßt uns singen, laßt uns springen, einmal hoch, das ist nicht schwer.
    Die Akazienrinde riß ihm die Lippen auf, sein Blut klebte an der Haut des Baumes. Er spürte überhaupt keinen Schmerz. Der bittere Akaziensaft floß, mit Speichel vermischt, in seine Kehle. Eine angenehme Kühle füllte seinen Hals. Der Krampf löste sich, seine Kehle wurde frei. »Xinghua«, rief er, ganz behutsam, denn er hatte Angst, er könnte seine Stimme wieder verlieren, »Xinghua, Papa ist hier!« Kaum hatte er diesen Satz hervorgebracht, liefen ihm die Tränen übers Gesicht.
    »Was machen wir jetzt?« fragte der stotternde Polizist. »Wir gehen zurück«, sagte der Polizist mit dem Trommelkopf. »Wir gehen zurück und schicken eine Fahndung raus. Der kommt nicht weit.«
    »Wo ist der Dorfvorsteher?«
    »Der hat sich verdrückt, dieses alte Waschweib.«
    »Papa, ich finde den Weg nicht. Komm schnell, komm, führe mich …«
    Xinghua bewegte sich im Kreis zwischen den Akazien. Der hellrote Fleck zerriß ihm das Herz. Es war nicht lange her, erinnerte er sich, da hatte er diesem Flecken Hellrot, der ihr kleiner Po war, ohne jeden Grund einen Fußtritt versetzt. Sein Tritt hatte sie über den Hof geschleudert, und im Fallen hatte sie die Hand gespreizt wie eine Hühnerklaue und in einen Haufen sojabraunen Hühnerkot hineingefaßt. Sie hatte sich wieder aufgerappelt und in eine Mauerecke geduckt. Ihr Rücken preßte sich in den Mauerwinkel, ihr Mund mahlte, aber sie wagte nicht, laut zu weinen. Gao Yang sah wieder ihre in Tränen schwimmenden lackschwarzen Augen vor sich, und das Ganze tat ihm so unendlich leid, daß er den Kopf mit aller Kraft gegen die Akazie schlug. Und während er mit dem Kopf gegen den Baumstamm hämmerte, schrie er aus Leibeskräften: »Macht mich los, macht mich los!«
    Der Polizist mit dem Trommelkopf legte einen Arm um Gao Yangs Kopf,

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