Die Knoblauchrevolte
Yü Qinshui stand neben seinem Ofenbett und blickte ihn mitleidig an.
»Wie fühlst du dich?« fragte sie.
Er wollte antworten, aber eine saure Flüssigkeit stieg hoch und drang ihm in Kehle und Nase.
»Du bist drei Tage ohne Bewußtsein gewesen. Wir haben uns fast zu Tode erschrocken. Ohne die Augen aufzumachen, hast du immerzu gerufen: ›Kleine Kinder, kleine Kinder, so viele kleine Kinder auf der Wand!‹ Dann hast du noch gerufen: ›Das Fohlen, das kleine Fohlen.‹ Mein Mann hat Guizhih kommen lassen. Sie hat dir zwei Spritzen gegeben.«
Er richtete sich auf. Frau Yü schob ihm seine abgenutzte Decke in den Rücken. Als er ihr Gesicht sah, begriff er, daß sie alles wußte.
»Ich danke dir und deinem Mann«, sagte er unter Tränen.
»Schon gut«, erwiderte sie, »mach dich nicht verrückt. Die Sache mit dir und Jinjü – daraus kann nichts werden. Jetzt mußt du erst einmal richtig gesund werden. In ein paar Tagen fahre ich zu meiner Mutter nach Hause und helfe dir, eine Frau zu finden, die genauso gut ist wie Jinjü.«
»Wie geht es Jinjü?« fragte er beunruhigt.
»Es heißt, sie ist zu Hause und bekommt jeden Tag Prügel. Als die Sache rauskam, gerieten die Familien Cao und Liu in Panik. Sie sitzen den ganzen Tag bei den Fangs und versuchen zu retten, was zu retten ist. Aber ich sage dir, eine zu früh gepflückte Melone kann man nicht zum Süßsein zwingen. In diesem Leben wird Jinjü wohl keine schönen Tage mehr haben.«
Aufgeregt zappelnd, versuchte Gao Ma vom Bett hinunterzukommen. Aber Frau Yü hielt ihn fest.
»Was hast du vor?«
»Ich muß Jinjü besuchen.«
»Du läufst in dein Verderben. Die Familien Cao und Liu sind bei den Fangs. Wenn du hingehst, wäre es ein Wunder, wenn sie dich nicht totschlagen.«
»Ich bringe sie alle um!« rief er mit schriller Stimme und schüttelte die Fäuste.
»Mach keine Dummheiten, Junge.« Frau Yü sprach ernsthaft auf ihn ein. »So etwas darfst du nicht einmal denken. Stell dir vor, du bringst sie wirklich um – dafür wirst du selber erschossen.«
Ermattet ließ er sich zurücksinken. Er begann zu schluchzen, und die Tränen rollten ihm über das schmutzige Gesicht in die Ohren.
»Wenn das so ist, dann will ich nicht mehr leben.«
»Übertreib nicht. Der Himmel will die Menschen nicht trennen. Wenn ihr beide eisern entschlossen seid, kann niemand eure Liebe aufhalten. Wenn man zwei Menschen aneinanderfesselt, ergibt das noch kein Ehepaar. Schließlich leben wir in der neuen Gesellschaft. Es muß eine Möglichkeit geben, die Vernunft durchzusetzen.«
»Kannst du mir einen Gefallen tun und Jinjü etwas ausrichten?«
»Jetzt nicht, im Augenblick ist alles noch zu frisch. Du mußt dich beruhigen, du mußt gesund werden, und du mußt noch eine Weile durchhalten.«
Drittes Kapitel
Die Bauern wurden durch Knoblauch reich.
Das war den Wölfen und Tigern nicht gleich.
Steuereintreiber zogen in Scharen aus,
erpreßten Abgaben in jedem Haus.
Die braven Leute schrien wie verrückt,
so schlimm hat man sie unterdrückt.
Aus einem Lied, das der blinde Zhang Kou im Mai
1987 bei einem Gang durch die Kreisstadt vortrug
1
Die beiden Polizisten kamen entmutigt aus dem Wald zurück. Sie waren von Kopf bis Fuß beschmutzt. In der rechten Hand hielten sie ihre stahlblaue Pistole, in der linken die große runde Uniformmütze, mit der sie sich Kühlung zufächelten. Der stotternde Polizist schien nicht mehr zu hinken. Der Eisentopf hatte ein großes Loch in seine grüne Hose gerissen. Der Stoff flappte hin und her, wie ein Stück tote Haut. Die Polizisten steuerten den Baum an und blieben vor Gao Yang stehen. Beide hatten kurzgeschorenes Haar. Das Haar des stotternden Polizisten war pechschwarz, und sein Schädel wirkte rund wie ein Volleyball. Der andere hatte helleres Haar. Seine Stirn wölbte sich nach vorn, sein Hinterkopf war sehr lang. Das gab seinem Kopf die Form einer Hüfttrommel.
Gao Yang verrenkte den Hals, bis er seine blinde Tochter sah. Xinghua tastete sich mit dem Bambusstock in der Hand zwischen den Bäumen bei Gao Mas Haus hindurch. Wohin sie auch mit dem Stock schlug, nach vorne und hinten, nach rechts und links, überall traf sie Baumstämme. Dabei bewegte sie sich im Kreise.
»Papa, Papa«, weinte sie laut, »mein Papa!« Sie kam ihm vor wie ein kleines Pferd, das in ein Schlammloch geraten ist und nicht mehr herausfindet.
»Verflucht«, schimpfte der stotternde Polizist. »Wie konntest du ihn nur entkommen lassen?«
»Wenn du etwas
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