Die Knoblauchrevolte
Feuchtigkeit. Gao Mas Mais rauschte ungeduldig. In ihrem Bohnenfeld sprang ab und zu leise knackend eine Schote auf. Vater und der Ältere Bruder pflückten vor ihr. Der Bruder beklagte sich ununterbrochen darüber, daß Onkel Acht ausgerechnet während der Ernte den jüngeren Bruder zum Brikettmachen angefordert hatte. Gereizt sagte Vater: »Was soll das Geknurre? Verwandte müssen einander helfen. So ist das nun mal.«
Der Bruder wußte nichts zu erwidern und drehte sich nach Jinjü um, als erwartete er von ihr Unterstützung.
Sie sah ihren Vater auf Händen und Knien vorwärts kriechen. Der Bruder hinkte mit lahmem Bein nebenher. Der eine kroch, der andere hinkte. Die Mühsal, die in ihrer Körperhaltung sichtbar wurde, machte Jinjü das Weggehen schwer. Der Mais zitterte und rauschte. Sie wußte, daß Gao Ma im Maisfeld hockte und ungeduldig nach ihr Ausschau hielt. Je mehr sie an ihn dachte, desto unschärfer wurde sein Bild in ihrer Vorstellung. An den Duft des Purpurquasts erinnerte sie sich noch und an den Geruch seines Körpers. Sie nahm sich vor, auf jeden Fall Vater und Bruder zu helfen, die Bohnen zu ernten, bevor sie weglief.
Unter Aufbietung aller Kräfte schnitt sie die Bohnen. Bald hatte sie Vater und Bruder überholt. An diesem Nachmittag leistete sie mehr als beide zusammen. Als nur noch eine Ecke übrig war, richteten sich alle drei erleichtert auf. Auf Vaters Gesicht erschien ein zufriedener Ausdruck. Der Bruder sagte:
»Schwester, du hast dich heute sehr angestrengt. Wenn wir nach Hause kommen, sehe ich zu, daß Mutter zwei Eier für dich kocht.«
Sie erwiderte nichts. Ihr war schwer ums Herz. Ihr fielen wieder alle guten Seiten ihrer Mutter ein. Sie erinnerte sich an Ereignisse ihrer Kindheit. Der hinkende Bruder hatte sie huckepack getragen. Dann schnitten Vater und Bruder kniend und hinkend die restlichen Bohnen. Die Sonne stand tief im Westen. Die Abendröte umgab ihre Köpfe mit einem gelblichen Heiligenschein. Die Farben der Felder wirkten besonders warm. Direkt im Norden lag das Dorf, in dem sie seit zwanzig Jahren lebte. Herdrauch stieg in die Höhe. Bestimmt kochte Mutter schon das Abendessen. Wenn ich weglaufe … sie wagte nicht weiterzudenken. Auf der Straße, die im Osten vorbeiführte, kam ein mit Bohnen hochbeladener Ochsenkarren angerollt. Der Mann, der den Ochsen führte, sang aus voller Kehle: »Im sechsten Monat werden die Tage heiß, die zweite Tochter reitet den Esel in Schweiß.«
Jinjü fühlte sich mit einemmal völlig entkräftet.
Ein Schwarm Spatzen kam herbeigeflogen. Wie eine sich auflösende Wolke verteilte er sich über Gao Mas Maisfeld. In die Maishalme kam Bewegung. Ein großer Schatten wurde sichtbar und war gleich wieder verschwunden. Sie machte ein paar Schritte in seine Richtung und blieb stehen. In diesem Augenblick wurde sie von zwei gleich starken Kräften in entgegengesetzte Richtungen gezerrt. Ein Wort von Vater gab den Ausschlag. Er sagte:
»Was stehst du da herum? Komm pflücken. Je schneller wir fertig sind, desto früher können wir nach Hause gehen.«
Vaters Gesicht zeigte überhaupt keine Wärme.
Ihr Herz erstarrte. Sie warf die Sichel weg und lief auf das Maisfeld zu.
»Wo willst du hin?« rief Vater ärgerlich.
Sie bewegte sich weiter vorwärts.
»Schwester, wenn du keine Lust mehr hast, geh doch nach Hause«, rief der Bruder.
Sie drehte sich um und erwiderte laut: »Ich muß mal. Wenn ihr mir nicht glaubt, könnt ihr ja mitkommen.«
Ohne einen Blick zurück lief sie weiter und hatte mit wenigen Schritten das Maisfeld erreicht.
»Jinjü.« Gao Ma umarmte sie kräftig, aber nur für zwei Sekunden, dann flüsterte er: »Duck dich, mach schnell.«
Er umklammerte ihre Hand. In gebückter Haltung folgten sie einer Furche im Maisfeld nach Süden. Die verdorrten Maisblätter streiften ihr Gesicht. Instinktiv schloß sie die Augen. Von seiner Hand geführt, rannte sie vorwärts und vorwärts. Brennendheiße Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie dachte: Ich kann nie wieder zurück. Die Seidenfäden, durch die sie sich an zu Hause gebunden fühlte, zerrissen einer nach dem anderen. Die Maisblätter, durch die sie sich schlugen, machten ein gewaltiges Geräusch, das ihr Angst einjagte. Ihr Herz klopfte laut.
Am Ende des Maisfeldes lag ein Flußdeich, der ganz mit Purpurquast bewachsen war. Seinen eigentümlichen, die Sinne betäubenden Duft nahm sie trotz ihrer Aufgewühltheit deutlich wahr.
Gao Ma zog sie den Deich hinauf. Oben
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