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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Grundbesitzer, sondern auch ihre Kinder leiden«, sagte Gao Yang. »Nur dem alten Deng ist es zu verdanken, daß man mich heute nicht mehr den Sohn eines Grundbesitzers schimpft.«
    »Der alte Deng ist jetzt zehn Jahre an der Macht«, sagte die Frau, »mögen ihn die Götter noch viele Jahre schützen. Ein großer Mann. Er hat ein langes Leben verdient.«
    »Ich begreife eins nicht. Die hohen Staatsbeamten, sie essen Ente, Huhn, Fisch und Fleisch, sie tragen Samt und Seide, und wenn sie krank sind, bekommen sie die teuersten Medikamente. Wie können sie da überhaupt noch sterben? Aber kaum werden sie siebzig oder achtzig, ist es aus. Nimm dagegen den alten Men aus unserem Dorf. Er hat sein ganzes Leben schwer gearbeitet, seine Söhne sind nicht gerade gut geraten, zu essen hat er nie viel gehabt und auch nichts Gutes anzuziehen. Jetzt ist er schon über neunzig und geht immer noch jeden Tag zur Arbeit aufs Feld.«
    »Die Beamten müssen sich mit allen möglichen Problemen herumschlagen. Aber wir Bauern kennen nur eins: arbeiten, essen und schlafen. Weil wir unser Gehirn nicht anstrengen müssen, leben wir lange.«
    »Trotzdem will niemand Bauer werden, jeder möchte Beamter sein.«
    »Beamte haben es auch nicht einfach. Wenn sie einen Fehler machen, geht es ihnen schlechter als einem Bauern.«
    Seine Frau zerbrach einen Knoblauchstengel und stieß einen Laut des Bedauerns aus.
    »Vorsicht«, blaffte Gao Yang. »Jeder kaputte Stengel ist ein Verlust von ein paar Fen.«
    »Warum machst du so ein böses Gesicht?« murrte seine Frau gekränkt. »Ich habe es doch nicht mit Absicht getan.«
    »Das habe ich auch nicht behauptet.«
    Das Polizeiauto fuhr durch ein rotlackiertes Tor. Die Sirene verstummte, der Wagen bremste hart ab. Gao Yang prallte mit dem pferdegesichtigen jungen Mann zusammen. Der Knoblauchgeruch war verschwunden. Nur nach Blut roch es noch.

Sechstes Kapitel
    Ein Regierungspräsident rottet Sippen aus,
    ein Kreisdirektor ruiniert Familien.
    Ihr hohen Herren, redet kein Blech.
    Wenn ihr uns sagt: Pflanzt Knoblauch, dann tun wir das.
    Wenn niemand unsern Knoblauch kauft, was sagt ihr dann?
    Aus einem Lied, das Zhang Kou vor der Tür des Kreisvorstehers
sang, als der Knoblauch nicht abzusetzen war
1
    Halb ohnmächtig hing sie auf Gao Mas Rücken, die Arme um seinen kräftigen Hals geschlungen. Sobald sie den Glatten Bach durchquert hatten, der die Grenze zwischen den beiden Kreisen bildete, hatte sie das Gefühl, daß alle ihre Bindungen abbrachen, die Verbindung mit der Vergangenheit, die Verbindung mit der Heimat und die Verbindung mit – wenn man sie noch so nennen konnte – ihren Angehörigen. Die Rufe ihres Vaters und ihres Bruders drangen nicht mehr in ihre Ohren, aber sie spürte sie noch in ihrem Rücken. Sie glichen ihr nachgeworfenen Schnüren mit goldenen Haken. Sie kamen über den Fluß geflogen und verhedderten sich in den Spitzen der dicht wachsenden Jute. Jinjü schloß die Augen und hörte das sanfte Geräusch, mit dem sich Gao Mas Körper einen Weg durch die Jute bahnte, die so dicht stand, daß sie nicht einmal dem Wind Durchlaß bot.
    Die Jute bewegte sich unruhig, sie öffnete und schloß sich wieder hinter ihnen wie Wasser. Manchmal hatte sie das Gefühl, in einem kleinen Boot zu sitzen, obwohl sie noch niemals Boot gefahren war. Sie versuchte ihre Augen zu öffnen, aber die farbenreiche Helligkeit blendete sie so sehr, daß sie sich nicht traute, die Augen offenzuhalten. Mit geschlossenen Augen genoß sie das Angenehme ihrer Lage, das sie ihrer völligen Erschöpfung zu verdanken hatte. Keuchend wie ein Ochse, stapfte Gao Ma vorwärts. Er arbeitete sich durch die endlose Jute, dieses sanfte und elastische Hindernis, durch das er unbeirrbar einer geraden Linie folgte. So empfand sie es jedenfalls. In ihrer Vorstellung ging eine riesige kupferfarbene Sonne langsam unter. »Himmel und Erde dunkelgelb, öd und leer das Weltall.« Fremdartige Schriftzeichen standen ihr plötzlich vor Augen. Sie verstand sie nicht, und sie konnte sich auch nicht erinnern, sie schon einmal gesehen zu haben. Sie verschwanden wieder. Himmel und Erde waren prachtvoll. Der kühlende Wind der Abenddämmerung streichelte die endlose Jute. Sie schwankte und wogte wie ein schwarzrotes Meer. Jinjü hatte das Gefühl, daß Gao Ma und sie sich in zwei Fische verwandelten, die nicht mehr schwimmen konnten.
    Jute, Jute, Jute, du hältst ihn auf, du hältst mich auf, du verziehst deinen dunkelgrünen Mund, du zwinkerst

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